„An das Verbindende erinnern“

Weinheims Oberbürgermeister Heiner Bernhard

Jahresinterview mit Weinheims Oberbürgermeister Heiner Bernhard – „Das Tempo bleibt hoch“

Herr Oberbürgermeister, das war ja eine ziemlich turbulente Adventszeit. In einer wohl denkwürdigen Gemeinderatssitzung – erstmals aus gegebenem Anlass in der Stadthalle – hat das Gremium Baumaßnahmen in Höhe von geschätzt 35 Millionen Euro beschlossen. Ein Schul- und Kulturzentrum in der Weststadt sowie Neubau und Sanierung von drei Sporthallen in den südlichen Ortsteilen. Sind diese Aufgaben nicht zu mächtig für die Stadt?

Heiner Bernhard: Sie sind jedenfalls ganz enorm, und wir brauchen noch viele Anstrengungen von allen Beteiligten, um sie alle zu schaffen. Diese Beschlüsse binden uns auf einige Jahre, das war dem Gemeinderat bei seinen Entscheidungen aber auch klar. Das ist bei zukunftsweisenden Beschlüssen immer so. Zunächst, es handelt sich um Grundsatzentscheidungen, also Weichenstellungen. Über die Umsetzung, vor allem über den zeitlichen Ablauf und die Priorisierung der Maßnahmen, werden wir im Zuge der Haushaltsberatungen reden – reden müssen! Das betrifft die Finanzierung aber auch das Arbeitspensum, das erforderlich ist.

Es geht das Gerücht um, die Beschlüsse könnten zur Farce werden, weil die Stadt sie sowieso finanziell nicht umsetzen kann . . .

Gerüchte sind kein Mittel seriösen Handelns. Und es wäre unseriös, solche Beschlüsse zu fassen, ohne an eine Umsetzung zu glauben. Das sollte man der Verwaltung und dem Gemeinderat nicht unterstellen. Wir konnten in den letzten Jahren immer wieder Geld in beträchtlicher Höhe der Allgemeinen Rücklage zuführen; das werden wir nun benötigen. Und die Finanzierung wird uns über Jahre beschäftigen. Aber wir hätten nicht so agiert, wenn wir es nicht für grundsätzlich machbar halten würden. Der Gemeinderat hat ein eindeutiges Bekenntnis abgelegt, die Infrastruktur dieser Stadt auf Dauer zu stärken. Und das auf jenen Feldern, die seit Jahren unser Lebens- und Wohnqualität ausmachen: Bildung, Kultur, Sport, Freizeit und Vereinsleben. Ich gehe davon aus, dass sich alle darüber im Klaren sind, dass diese Beschlüsse nun auch nach und nach umgesetzt werden. Mit allen Konsequenzen.

Was ist Ihnen persönlich am wichtigsten?

Das hat nichts mit persönlichen Vorlieben zu tun. Am wichtigsten ist der Schulhausneubau in der Weststadt sowie eine rechtskonforme Unterbringung unseres Archivs. Denn das sind Pflichtaufgaben der Kommune Bei der Schule ist das darüber hinaus so, weil die Bildung ganz klar ein Schwerpunkt unserer Politik ist. Außerdem hat ein lang angelegter Moderationsprozess zu dem Ergebnis geführt, das jetzt umgesetzt werden soll. Nun ist es heute unstrittig, dass ein reines Schulgebäude kein Bau für die Zukunft sein kann, weil die Entwicklung der Schülerzahlen unsicher ist. In Weinheim steigen die Schülerzahlen aktuell zwar noch an, aber keiner weiß, wie lange noch. Sicher ist, dass sie irgendwann sinken werden. Deshalb ist das Konzept eines Schul- und Kulturzentrums richtig, weil das zukünftig Nutzungen und Flächen für Vereine und Bürgerschaft ermöglicht. Und wir können andere Schulstandorte auflösen und dadurch Impulse für städtebauliche Entwicklung mit neuem Wohnraum geben und durch die Vermarktung der bisherigen Schulstandorte einen wichtigen Beitrag zur Finanzierung der Projekte leisten.

Was war für Sie prägend in diesem Jahr 2013?

Ich glaube, wenn man das Jahr als Gesamtes sieht, dann war es sicher das Jahr der großen Bürgerbeteiligung. Das meine ich jetzt positiv, auch wenn ich mir das Ergebnis des Bürgerentscheids zur Gewerbeentwicklung anders vorgestellt hätte, wie man weiß. Aber es gab wohl kein Jahr, in dem die Verwaltung so intensiv mit der Bürgerschaft kommuniziert hat wie in diesem, und das ist sicherlich der richtige Weg. Ich denke da noch an den Moderationsprozess Schulentwicklung, die Nutzerdialoge bei den Hallen, die Bürgerbeteiligung bei der Aufstellung einer Steuerungsplanung für die Windenergie und anderes. Dabei muss man auch sehen, dass dies alles zu einer starken Mehrbelastung innerhalb der Verwaltung führt.

Stichwort Gewerbeentwicklung, wie geht es da weiter?

Das Votum vom 22. September wird selbstverständlich respektiert. Aber wir haben immer gesagt, eine übereilte ad-hoc-Realisierung wird es nicht geben. Das hätte es auch auf den Breitwiesen nicht gegeben. Jetzt ist es auch noch so, dass der geplante Neubau eines GRN-Pflegezentrums zumindest Einfluss auf die standortrelevanten Rahmenbedingungen hat. Im Laufe des Jahres 2014 werden wir mit den Akteuren über Zielstellungen, Chancen und Risiken der künftigen Gewerbeentwicklung reden. Für mich steht jedenfalls fest, dass dieses letzte große Gewerbeflächenpotential langfristige Gunsteffekte für die Stadt bringen muss.

Auch das neuste Thema, die Unterbringung von Flüchtlingen, wird viele Gespräche, viel Information und Kommunikation erforderlich machen, welche Konzepte gibt es da?

Ganz grundsätzlich müssen wir die Diskussion durch Offenheit und Information versachlichen. Wir haben gleich die Politik, die Kirchen und die bereits engagierten Gruppen eingebunden. Den Anwohnern und Anliegern haben wir eine Info-Veranstaltung angeboten, lange vor dem Eintritt in ein Planungsverfahren. Unser Amt für Soziales, Jugend, Familien und Senioren wird die Federführung eines begleitenden Netzwerks übernehmen, indem bereits bestehende Aktivitäten gebündelt und betroffene Bürger zu Beteiligten gemacht werden. Wohlgemerkt, wir rechnen mit einer Inbetriebnahme der Einrichtung erst im Herbst 2015. Bis dahin haben wir Zeit, für diese Menschen, die in Not zu uns kommen, eine angemessene Willkommensstruktur zu schaffen. Ich setze da ganz viel auf die Menschen, die jetzt schon in Weinheim an der Integration arbeiten. Das bunte Weinheim muss sich jetzt beweisen.

Sind Sie mit der Entwicklung der Innenstadt zufrieden?

Im Großen und Ganzen ja, wir tun als Kommune jedenfalls alles, um die Rahmenbedingungen zu optimieren – und sind ein ganzes Stück weitergekommen. Das war in diesem Jahr die Fertigstellung der Fußgängerzone. Im nächsten Jahr wird das Paket Innenstadtentwicklung dann ganz ausgepackt sein: Mit dem Umzug des Omnibusbahnhofs an den Hauptbahnhof können wir endlich den Dürreplatz gestalten. Auch die neuen Buslinien werden die Stadt weiter beleben. Man sollte nicht vergessen, sämtliche Maßnahmen zur Belebung des Einzelhandels und der Innenstadt gehören zu einem Gesamtkonzept, wie schon die Schlossbergbebauung mit dem Steg. Auch dass sich OBI und Roller am Ehemaligen Güterbahnhof angesiedelt haben und eben keine Geschäfte mit innenstadtschädlichem Sortiment, hängt damit zusammen.

Sie sprechen oft von der Stadt als „kommunale Verantwortungsgemeinschaft“, woran machen Sie das zum Beispiel 2013 fest?

Da gibt es eine Reihe von Beispielen. Das fängt bei der spontanen Benefizaktion für die Betroffenen des Brandes in der Breslauer Straße an. Oder denken Sie an die weitergeführten Projekte unseres Bildungsbüros. Da kommen wir dem Ideal eines chancengleichen Zugangs zur Bildung immer näher. Nehmen Sie zum Beispiel das Zusammengehen der beiden Werkrealschulen Karrillon- und Dietrich-Bonhoeffer. Wie reibungslos das alles abgelaufen ist. Das schaffen Sie nur mit den Strukturen, die wir über Jahre aufgebaut haben. Und das geht weiter bei den Auswirkungen des demografischen Wandels. Weinheim ist im Land dieses Jahr Modellstadt geworden als Stadt, die auf dem Weg zur alternsfreundlichen Kommune ist.

Und Ihr Ausblick auf 2014?

Da könnte ich jetzt vieles nennen, was im Jahr 2013 auf den Weg gebracht wurde und nun in die Realisierung geht oder weiter entwickelt wird. Die Fülle an Aufgaben nimmt nicht ab, das Tempo bleibt hoch. Aber Sie gestatten, dass ich mich beim Ausblick auf 2014 besonders auf unser Jubiläum freue: „750 Jahre Stadt Weinheim“. Wir haben ein großes Programm und eine ganze Reihe toller Veranstaltungen, obwohl der Gemeinderat gegenüber unserer ersten Planung Geld gekürzt hat. Da wurde vieles mit Kreativität ausgeglichen. Meiner Ansicht nach ist ein Jubiläum nicht nur dafür da, vergangener Daten und Ereignisse zu gedenken, sondern es gibt uns die Chance, das an das Gemeinsame und Verbindende zu erinnern. Mein Wunsch fürs Jubiläumsjahr ist, dass uns das gut gelingt.