200 Tafeln ‚Historisches Mainz‘ – 2000 Jahre Mainz – Historisches Mainz: Stele für „Ehemaliges Kaufhaus Lahnstein“

20 Jahre ‚Historisches Mainz‘

Erneut konnten neue Hinweistafeln im Rahmen der Konzeption „Historisches Mainz“ fertig gestellt werden. Die Stele am Standort des ehemaligen Kaufhauses Lahnstein (am Gutenbergplatz 13) gibt wertvolle Hintergrundinformationen zur Historie dieses zerstörten historischen Gebäudes, zum Schicksal des jüdischen Inhabers Carl Lahnstein und seiner Familie, die von den Nationalsozialisten enteignet und verfolgt wurden.

Heute dankte Oberbürgermeister Michael Ebling den Schilderpaten, den Eheleuten Hartmut und Gudrun Fischer für ihr großes ideelles und finanzielles Engagement. Oberbürgermeister Ebling: „Die Reihe ‚Historisches Mainz‘ lebt von den engagierten Bürgern und Bürgerinnen. Mainz blickt auf eine mehr als 2000jährige Geschichte zurück, die Reihe ‚Historisches Mainz‘ will diese Geschichte und ihre verschiedenen Epochen sichtbar machen, mit Tafeln bzw. Stelen, die Auskunft geben über den jeweiligen historischen Standort und die mit ihm verknüpften Ereignisse.“ Zahlreiche Mainzerinnen und Mainzer haben Tafeln gespendet.

„Einer dieser engagierten Bürger ist Hartmut Fischer! Er hat diesmal nicht nur die Rolle des Mitinitiators und Ideengebers übernommen, sondern – gemeinsam mit seiner Frau Gudrun – auch die Gesamtkosten dieser Stele“, dankte der Oberbürgermeister dem Ehepaar Fischer.

Denn als vor mehr als 20 Jahren rief die Abteilung Öffentlichkeitsarbeit der Landeshauptstadt Mainz in Zusammenarbeit mit dem Denkmalpfleger Hartmut Fischerund dem Grafiker Horst Möbes die Reihe als neuen Bausteiner einer Erinnerungskultur und als Werbung für den Tourismusstandort ins Leben, an der Hartmut Fischer, nun im Ruhestand, noch ehrenamtlich mitarbeitet. Das Ziel der Reihe, an der sich auch auswärtige Gäste gerne orientieren, ist es, historische Baudenkmäler, Orte und Plätze mit Hinweistafeln in einheitlicher Art und Weise zu beschildern und diese dadurch wieder stärker in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken. Die Tafeln – bereits mehr als 200 – befinden sich mittlerweile an vielen Orten in der Innenstadt, aber auch an vielen interessanten Gebäuden in den Mainzer Stadtteilen.

„Der neuen Informationsstele kommt eine besondere Bedeutung zu: Sie erinnert nämlich nicht nur an ein Bauwerk, sondern auch erstmals an ein menschliches Schicksal, dem die zwölf dunkelsten Jahre der deutschen Geschichte in schrecklicher Weise ihren Stempel aufgedrückt haben“, sagte OB Ebling: „Die Erinnerung gilt der Familie Lahnstein, einer Mainzer Kaufmannsfamilie, die hohes Ansehen genoss, wirtschaftlich erfolgreich war und deren soziales Engagement als vorbildlich galt – und die man trotzdem in ihrer Heimatstadt nicht mehr duldete.“

Julius Lahnstein gründete 1875 zusammen mit seinem Partner Hermann Fröhlich in dem 1830 errichteten Gebäude am Gutenbergplatz 13 (das Theater nebenan war schon im Bau) ein Einzelhandelsunternehmen für „Kurz-, Weiß- und Wollwaren“. Schnell wuchs der Kundenstamm, so dass Julius Lahnstein Ende des 19. Jahrhunderts in der Lage war, sein Geschäft großzügig zu modernisieren. Sogar ein Aufzug wurde eingebaut, damals keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Mit zusätzlichen Sortimenten entwickelte sich das Geschäft schließlich zum stadtweit bekannten „Kaufhaus Lahnstein“, in dem man zuletzt sogar Lebensmittel erstehen konnte. Julius Lahnstein starb 1927 und wurde auf dem Neuen Jüdischen Friedhof bestattet. Dort findet sich heute noch sein Grab.

Sein Sohn Carl führte das Kaufhaus weiter. Bereits 1930 sah er sich allerdings ersten Anfeindungen ausgesetzt. Angeblich – so lautete der Vorwurf – habe er mit der Separatistenbewegung sympathisiert, die eine Loslösung des linksrheinischen Gebiets vom Reich anstrebte. In Wahrheit galten die Vorwürfe seiner jüdischen Herkunft. Und die war es auch, die nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten zum Beispiel seine weitere Mitgliedschaft im Vorstand von Mainz 05 unmöglich machte. Genauso wie die des damaligen Mainz 05-Vorsitzenden Eugen Salomon übrigens. Dessen Emigration nach Frankreich noch im Jahr 1933 bewahrte ihn nicht vor dem Zugriff des NS-Staates: 1942 wurde er in Auschwitz ermordet.

Carl Lahnstein, seine Frau Emmy und seine Tochter Anneliese entgehen zwar diesem Schicksal, aber nach den vom NS-Regime gesteuerten Ausschreitungen und Brandstiftungen in der Nacht zum 10. November 1938 waren auch ihre Tage in Deutschland gezählt. Mehrere Wochen musste Carl Lahnstein im KZ Buchenwald verbringen. Sein Haus musste er – zu einem Preis deutlich unter Marktwert – verkaufen. Erwerber dieses Hauses waren Helene Boehringer aus Ingelheim und deren Angehörige.

Die Lahnsteins selbst flohen schließlich über Frankreich nach Amerika. Das rettete ihnen das Leben – im Gegensatz zu 14 weiteren Familienmitgliedern, die in Deutschland geblieben waren und schließlich umgebracht wurden. Das zermürbende Wiedergutmachungsverfahren nach 1945 überlebte Carl Lahnstein nicht. Er starb 1954 in New York im Alter von 67 Jahren. Seine Tochter erhielt das Grundstück zurück und verkaufte es an den Inhaber der Firma Samen Kämpf. Das Kaufhaus selbst war schon 1942 bei einem Luftangriff total zerstört worden. Noch Jahrzehnte nach dem Krieg war die Bezeichnung „Haus Lahnstein“ für das Anwesen Gutenbergplatz 13 vielen Mainzerinnen und Mainzern ein Begriff.