Modellorganismus Fruchtfliege: Wie ein Entwicklungsgen die Spermienbildung beeinflusst

Heidelberger Forscher untersuchen grundlegende Regulationsmechanismen der Stammzelldifferenzierung

Mit grundlegenden Regulationsmechanismen der Stammzelldifferenzierung haben sich Wissenschaftler der Universität Heidelberg beschäftigt: Das Team um Prof. Dr. Ingrid Lohmann vom Centre for Organismal Studies konnte am Modellorganismus der Fruchtfliege Drosophila melanogaster zeigen, welchen Einfluss ein spezielles Entwicklungsgen aus der sogenannten Hox-Familie auf die Keimbahn-Stammzellen haben. Diese Zellen sorgen für die Bildung von Spermien.

War das untersuchte Hox-Gen in seiner Funktion beeinträchtigt, kam es zur Bildung früh gealterter Spermien – so das Ergebnis der Heidelberger Forscher, die ihre Untersuchungen im Rahmen des Sonderforschungsbereichs „Selbsterneuerung und Differenzierung von Stammzellen“ (SFB 873) durchgeführt haben.

Als „unreife“ Körperzellen können Stammzellen zu verschiedenen Zelltypen heranreifen und sind damit für die Entwicklung aller Gewebe und Organe im Körper verantwortlich. Sie sind zugleich in der Lage, beschädigte Zellen im Erwachsenenalter zu reparieren. „Fortschritte in der medizinischen Forschung haben gezeigt, dass sich bestimmte Krankheiten mithilfe von Stammzellen behandeln lassen. Für eine erfolgversprechende Stammzellentherapie ist es wichtig, die Funktion der jeweiligen Stammzellen zu kennen und zu verstehen, wie sie mit ihrer Umgebung, also den sie umgebenden Zellen und dem umliegenden Gewebe, interagieren“, betont Prof. Lohmann, die am Centre for Organismal Studies (COS) die Forschungsgruppe
Entwicklungsbiologie leitet.

Diese Mikro-Umwelt, die die Aktivität von Stammzellen stabilisiert und reguliert, wird als Stammzellnische bezeichnet. Die Heidelberger Forscher haben die Nischen im Hoden der Fruchtfliege untersucht. Die dort vorhandenen Keimbahn-Stammzellen produzieren Tochterzellen, aus denen vollentwickelte Spermien hervorgehen. „Mit unseren Untersuchungen wollten wir herausfinden, ob und welcher Zusammenhang zwischen Keimbahn-Stammzellen und dem Gen Abd-B besteht“, so Prof. Lohmann. Wie die Wissenschaftlerin erläutert, gehört Abd-B zu einer Familie von Entwicklungsgenen, den sogenannten Hox-Genen. Diese Hox-Gene steuern die Aktivität einer Vielzahl anderer Gene, die für die frühe Entwicklung eines Organismus
verantwortlich sind.

Das Gen Abd-B, so das Ergebnis der Forscher, ist von entscheidender Bedeutung für die Nischenfunktion im Drosophila-Hoden. Wenn Abd-B mutiert, verliert die Nische – zusammen mit
den Stammzellen, die dort zu finden sind – ihre Position im Hoden. Es kommt zu einer Funktionsschädigung mit der Folge, dass sich die Keimbahn-Zellen nicht mehr richtig teilen. In den untersuchten Fruchtfliegen führte dies zur Bildung von vorzeitig gealterten Spermien. „Unsere neuen Kenntnisse über die Funktion von Abd-B helfen uns besser zu verstehen, wie diese
Prozesse bei höheren Lebewesen bis hin zu Wirbeltieren ablaufen“, erklärt Ingrid Lohmann.

An dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten SFB 873 untersuchen Mediziner und Biowissenschaftler die grundlegenden Regulationsmechanismen, die die Selbsterneuerung und Differenzierung von Stammzellen steuern. Die Untersuchungen werden mit Hilfe verschiedener Modellorganismen wie der Fruchtfliege Drosophila melanogaster durchgeführt, um die Prinzipien der Stammzellsteuerung zu entschlüsseln und diese dann auf komplexere Lebensformen bis hin zum Menschen zu übertragen.

Die aktuellen Forschungsergebnisse von Prof. Lohmann und ihrem Team wurden in der Fachzeitschrift „Developmental Cell“ veröffentlicht.

Originalveröffentlichung:

F. Papagiannouli, L. Schardt, J. Grajcarek, N. Ha, I. Lohmann: The Hox Gene Abd-B Controls
Stem Cell Niche Function in the Drosophila Testis. Developmental Cell, Vol 28. Iss 2, 189-202
(27 January 2014), doi: 10.1016/j.devcel.2013.12.016

Informationen im Internet:
Forschungsgruppe Ingrid Lohmann:
www.cos.uni-heidelberg.de/index.php/i.lohmann?l=_e
Sonderforschungsbereich:
www.klinikum.uni-heidelberg.de/Sonderforschungsbereich.116852.0.html