Mannheim: Cinema of Splendour – Fashion im Film

Retrospektive der 71. Ausgabe des Internationalen Filmfestivals Mannheim-Heidelberg (IFFMH)

IFFMH 2021 (Foto: Hannes Blank)
IFFMH 2021 (Foto: Hannes Blank)

Mannheim. Die Retrospektive der 71. Ausgabe des Internationalen Filmfestivals Mannheim-Heidelberg (IFFMH) ist komplett. Kern des IFFMH ist die Entdeckung neuer Regietalente aus der ganzen Welt. Seit 2020 wagt das Festival aber überdies mit einer regelmäßigen Retrospektive einen jährlich wechselnden Blick in die Geschichte des Kinos. Denn auch durch die Wieder- oder gar Neuentdeckung historischer Filme lassen sich die Möglichkeiten des Mediums erkunden. Die Vorgänger rücken die Werke der Gegenwart in einen Kontext.

Für das diesjährige Festival vom 17. bis zum 27. November haben Kurator Hannes Brühwiler und Festivaldirektor Dr. Sascha Keilholz nun ein vermeintlich alltägliches Thema gewählt: die Mode. »Cinema of Splendour – Fashion im Film« lautet 2022 der Titel der Retrospektive des IFFMH. Dieses Thema findet sich auch im neuen zentralen Plakatmotiv des IFFMH wieder, einem im Profil fotografierten weiblichen Model. Ein ikonisches Bild der Filmgeschichte wird hier aufgegriffen, die beobachtete weibliche Gestalt, die in diesem Fall zugleich selbst aktiv zur Beobachterin wird und die Welt aufmerksam und interessiert betrachtet.

Mode im Film

Die Mode hat die Filmgeschichte geprägt und zu einigen ihrer schönsten Momenten geführt. Das Kino seinerseits dient seit seinen Anfängen als ein Schaufenster, in dem Kleidung nicht nur als Massenware, sondern auch als Kunstform einem Millionenpublikum präsentiert wird. Generell haben Film und Mode einige Gemeinsamkeiten. Nicht zuletzt sind es die zwei populärsten kommerziellen Industrien, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden sind. Bis heute sind sie Ausdruck des modernen Lebens par excellence. Mit Blick auf die ältesten ausgewählten Filme und ihre US-amerikanische Herkunft bemerkenswert ist, dass die frühen Studiobosse Hollywoods nicht selten selbst aus der Bekleidungsindustrie stammten und dort ihr Vermögen verdient hatten. So verwundert es nicht, dass sie der Mode in ihren Filmen große Bedeutung zumaßen.

Kino der Attraktionen

Eines der zentralen Momente von Filmen, in denen die Mode eine herausragende Rolle spielt, ist die Lust an Exzess und Spektakel. Verbunden ist diese Lust häufig mit einer Unterwanderung der üblichen Rollenbilder. Beobachten lässt sich das schon am historischen Startpunkt der diesjährigen Retrospektive: ›Salomé‹ von Charles Bryant und Alla Nazimova aus dem Jahr 1922, einer rauschhaften Verfilmung von Oscar Wildes gleichnamiger Tragödie. Ohne Rücksicht auf jegliche Form eines erzählerischen Realismus findet das Medium Film hier ganz zu sich: zu einem Kino der Attraktionen. Mit seinen von Natascha Rambova entworfenen Kostümen wirkte ›Salomé‹ für Generationen von Regisseur*innen stilbildend. Die damit einhergehende Extravaganz zeigt sich entsprechend in ›The Women‹ (1939) von George Cukor, u.a. mit Joan Crawford. Schluss- und Höhepunkt ist hier eine Modenschau, die im Unterschied zum restlichen Film in knallbuntem Technicolor gedreht ist. Aber die Verbindungslinien reichen weiter bis zu ›Pink Narcissus‹ (1971), einem Meisterstück des queeren Kinos von Fotograf James Bidgood. Oder auch zu Sally Potters ›Orlando‹ (1992), einem Film über einen androgynen Dichter und Edelmann im frühen 17. Jahrhundert.

Historische Kostümfilme

Historische Kostümfilme machen einen zentralen Teil dieser Retrospektive aus. Neben ›Orlando‹ wird auch Luchino Viscontis Meisterwerk ›Ludwig‹ (1972) über den Aufstieg und Fall Ludwigs II. von Bayern mit Helmut Berger und Romy Schneider in den Hauptrollen gezeigt. Und zwar ebenso in der restaurierten Fassung wie Peter Weirs ›Picnic at Hanging Rock‹ (1975) über das Verschwinden mehrerer Schülerinnen im Jahr 1900. Der gesellschaftliche Anpassungsdruck im viktorianischen Australien, wie er hier zu beobachten ist, findet seinen Widerhall in einem der prägenden Regiedebüts des ausgehenden 20. Jahrunderts: Sofia Coppolas ›The Virgin Suicides‹ (1999) über den Selbstmord von fünf Schwestern in den USA der 1970er-Jahre. Hinzu kommt Céline Sciammas ›Bande de filles‹ (2014) über eine Mädchengang in der Pariser Banlieu, ein Film, für den die Regisseurin sämtliche Kostüme selbst entworfen und ausgewählt hat. Außerdem Park Chan-wooks ›The Handmaiden‹ (2016), der im Korea und Japan der 1930er-Jahre spielt. All diese Filme verdeutlichen, dass die Mode häufig gesellschaftliche Entwicklungen widerspiegelt. Und zugleich sind die historischen Kostüme immer auch Ausdruck der Entstehungszeit des Films selbst. Dem dynamischen Verhältnis zwischen den verschiedenen Zeitebenen nachzuspüren, das sich hier auftut, ist eines der Ziele der diesjährigen Retrospektive des IFFMH.

Filme über die Welt der Mode

Einen letzten Schwerpunkt dieser Retrospektive stellen schließlich Filme dar, die vor dem Hintergrund der Modewelt spielen. In ›Die bitteren Tränen der Petra von Kant‹ (1972) erzählt Rainer Werner Fassbinder von einer erfolgreichen Modedesignerin und ihrer unausgewogenen Beziehung zu einer jungen Frau. Jerry Schatzberg verarbeitet in seinem Debüt ›Puzzle of a Downfall Child‹ seine Erfahrungen als Modefotograf. In der Hauptrolle ist Faye Dunaway zu sehen, die ein ehemaliges Model spielt, das auf sein Leben zurückblickt. Einen der schönsten Spielfilme über Mode inszenierte schließlich Jacques Becker. ›Falbalas‹, 1944 in Paris noch unter deutscher Besatzung gedreht, porträtiert die Pariser Modewelt und rückt einen berühmten Modedesigner in den Mittelpunkt, der sich Hals über Kopf in die Verlobte seines besten Freundes verliebt. All diese Filme stellen nicht nur Zeugnisse unterschiedlichster Formen der Modeschöpfung dar, sondern auch die permanente Suche nach künstlerischen Ausdrucksformen. Die Schwierigkeiten, mit denen sich die Protagonist*innen in ihrer Arbeit konfrontiert sehen, machen diese Werke somit immer auch zu Filmen, in denen die Regisseur*innen über ihr eigenes Schaffen nachdenken.

Filmübersicht in chronologischer Reihenfolge:

Salomé (Charles Bryant und Alla Nazimova, USA 1922)

The Women (George Cukor, USA 1939)

Falbalas (Jacques Becker, Frankreich 1945)

Puzzle of a Downfall Child (Jerry Schatzberg, USA 1970)

Pink Narcissus (James Bidgood, USA 1971)

Die bitteren Tränen der Petra von Kant (Rainer Werner Fassbinder, BRD 1972)

Ludwig (Luchino Visconti, Italien/Deutschland/Frankreich 1973)

Picnic at Hanging Rock (Peter Weir, Australien 1975)

Orlando (Sally Potter, Vereinigtes Königreich 1992)

The Virgin Suicides (Sofia Coppola, USA 1999)

Bande de filles (Céline Sciamma, Frankreich 2014)

The Handmaiden (Park Chan-wook, Südkorea 2016)

Das gesamte Festivalprogramm des IFFMH 2022 wird Ende Oktober veröffentlicht.

(Quelle: IFFMH – Filmfestival Mannheim gGmbH / Foto: Hannes Blank)