
Frankfurt am Main (pia) Der Frühsommer ist da – und in Frankfurt tobt das wilde Leben. Wanderfalken schlüpfen auf dem Commerzbank-Tower, Mauersegler flitzen wieder durch die Lüfte. Eine kapitale Meerforelle taucht in der Nidda auf, und der Biber wandert nach Bonames ein. Die wachsende Artenvielfalt in der Metropole zeigt, dass sich Frankfurts Investitionen in den Naturschutz lohnen.
„Die Hälfte unseres recht kleinen Stadtgebietes von 248 Quadratkilometern ist grün oder blau“,
verdeutlicht Rainer Vollweiter, Mitarbeiter Umweltdezernat.
„Wir haben viele Flächen vor der Bebauung schützen können, sodass die Stadt unterschiedlichste Lebensräume für wilde Tiere zu bieten hat.“
Dazu gehören Stadtwald und Streuobstwiesen ebenso wie Flussauen oder das Enkheimer Ried.
Wildnis wagen
Wertvolle Naturräume wie das schon 1937 zum Schutzgebiet erklärte Ried zu erhalten, ist nur ein Aspekt des Naturschutzes. Hinzu kommen Renaturierungsmaßnahmen, die unter anderem seit 25 Jahren mit großem Erfolg entlang des Niddalaufes realisiert werden. Als dritten Ansatz nennt Vollweiter das Projekt „Wildnis wagen“, das vom Bundesamt für Naturschutz unterstützt wird. Mit dessen Hilfe soll am Fuße des Müllbergs Monte Scherbelino im Frankfurter Südosten eine Wildnis entstehen, in der sich Fauna und Flora ungestört entwickeln können. Wie rasch sich die Natur ein Terrain erobert, konnten die Frankfurter schon am Alten Flugplatz in Bonames beobachten. Der frühere Hubschrauberlandeplatz der US-Streikräfte hat sich in den vergangenen Jahren in ein Idyll verwandelt.
Auf die Sprünge helfen
Eine andere Form von Wildnis in der Großstadt zeigte sich Ende April, als ein Wolf ins Frankfurter Stadtgebiet vordrang und auf der A 661 bei Eckenheim überfahren wurde. „Der Wolf kam früher als erwartet zu uns – aber dass er einmal kommt, war abzusehen“, so Vollweiter. Wie Untersuchungen des Senckenberg-Forschungsinstituts ergaben, stammte der junge Rüde aus dem „Gartower Rudel“ im Osten Niedersachsens.
„Eine Wölfin vertreibt ihren Nachwuchs, wenn er flügge ist“,
erläutert Tina Baumann, Leiterin des Stadtforstes in Frankfurt.
„Dass die Jungtiere dann Hunderte von Kilometern durch Grün- und Waldzüge wandern, ist nichts Ungewöhnliches.“
Da Hessen zu 42 Prozent aus Wald bestehe, gelte das Bundesland insgesamt als „Wolfs-Erwartungsland“. Den Berichten, dass rund um Bonames weitere Wölfe gesichtet worden seien, schenkt Baumann allerdings wenig Glauben.
„Es gibt ziemlich sicher keine weiteren Wölfe im Stadtgebiet – höchstens Hunderassen, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sehen.“
Andere Wildtierarten werden bewusst in die Stadt gelockt:
„Wir helfen der Natur hier ein bisschen auf die Sprünge“,
sagt Rainer Vollweiter. So wurden entlang von Nidda und Main vier Storchennester aufgestellt, die mindestens zwei Paare „inspiziert“ haben. Am Alten Flugplatz in Bonames sind die Vögel derzeit fast täglich auf dem Nest zu sehen – was wiederum die Frösche vor Ort nicht von ihrem Frühlingskonzert abhält.
Zwischen Bankentürmen brüten
Bei den Wanderfalken gab es schon Nachwuchs: Auf dem 258 Meter hohen Tower der Commerzbank schlüpften Anfang Mai zwei flaumige weiße Küken. Die Greifvögel brüten gerne an hohen Felswänden und fühlen sich daher wohl in der Frankfurter Turmlandschaft, in der sie sich vornehmlich von Stadttauben ernähren. Auch am Schornstein der Müllverbrennungsanlage in Heddernheim wagen derzeit drei Jungfalken ihre ersten Flugversuche. Wie der Naturschutzbund NABU mitteilt, sind seit 1983 schon 261 Wanderfalken in Frankfurt geschlüpft. Eine Voraussetzung dafür ist, dass die Greifvögel Schutz beim Brüten bekommen.
„Der Naturschutz ist immer ein Gemeinschaftswerk von vielen Menschen und auch Firmen, die sich dafür einsetzen“,
betont Vollweiter.
Das gilt auch für die Mauersegler, die seit Anfang Mai die Großstadtluft mit lautem Sirren und abenteuerlichen Flugfiguren erfüllen. Die Sommerboten reisen aus dem 10.000 Kilometer entfernten Südafrika an. Sie jagen und fressen, schlafen und paaren sich in der Luft – nur zum Brüten, das der Grund für ihren Deutschland-Abstecher ist, brauchen sie einen Nistplatz. Früher kamen sie oft an Altbauten unter, doch durch die vielen Sanierungen finden sie hier kaum mehr eine Nische. Daher haben BUND, NABU und die Deutsche Gesellschaft für Mauersegler in Zusammenarbeit mit der Staatlichen Vogelschutzwarte, der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt und dem städtischen Umweltamt die „Segler – Initiative“ gegründet. Sie kartiert gemeldete Nester, erfasst die Bestände und hilft beim Anbringen von Nistkästen.
An der Nidda tummeln
Auch an der Renaturierung der Nidda sind viele Akteure beteiligt – und die Natur freut sich: Am Nidda-Altarm in Bonames tummeln sich neben Enten, Eisvögeln und Schildkröten nun auch mehrere Biber, die zuvor gut 300 Jahre lang aus der Stadt verschwunden waren. „Von der Wetterau aus erobern die großen Nager jetzt das Stadtgebiet“, berichtet Vollweiter. Das sei auch überhaupt kein Problem, denn der Biber fälle nur schnell wachsende Auengehölze und schade damit der Natur nicht.
Sogar Meerforellen tauchen wieder in der Nidda auf: Ein junger Angler traute seinen Augen kaum, als er Anfang Mai in Praunheim ein 80 cm langes Prachtexemplar dieser Art am Haken hatte. Respektvoll setzte er den Fisch zurück in den Fluss: Schließlich hatte die Meerforelle den weiten Weg von der Nordsee über Rhein und Main bis nach Frankfurt zurückgelegt, um in der Nidda zu laichen. Vor einigen Jahren war das noch undenkbar – es gab unterwegs zu viele Staustufen und Wehre.
Auch der Main soll fischfreundlicher werden. Für Rotauge und Flussbarsch, Hecht, Schleie und rund 30 weitere Arten entstehen entlang des Flusses flache Uferzonen und Ruheräume. Im Fechenheimer Mainbogen soll gar eine typische Auenlandschaft geschaffen werden, das dafür notwendige Flurbereinigungsverfahren ist bereits beschlossen.
Im Stadtwald heimisch werden
Ein besonders großer, wichtiger Lebensraum für Wildtiere ist der Frankfurter Stadtwald. Allein hier leben 100 Vogelarten, über 1.300 Käferarten, 376 Schmetterlingsarten und zehn Fledermausarten.
„Das ist für ein Großstadtgebiet etwas Besonderes – gerade was die streng geschützten Tierarten, wie zum Beispiel die Fledermäuse angeht“,
weiß Stadtforstleiterin Tina Baumann. Hinzu kommen Säugetiere wie Fuchs, Dachs und Marder, Reh- und Damwild und seit einigen Jahren auch der Waschbär, von dem die Forstoberrätin bisher nur Spuren gesehen hat.
Für seine naturnahe Bewirtschaftung erhielt der Frankfurter Stadtwald im Herbst 2014 das renommierte FSC-Siegel des Forrest Stewardship Council. Im Zuge dessen werden nun fünf Prozent des Waldes stillgelegt, also sich selbst überlassen. Den Anfang macht eine Fläche am Grastränkbruch in Oberrad, weitere Abschnitte werden derzeit geprüft.
„Hier entstehen großflächige Habitat- und Totholzbereiche, in denen sich unter anderem die Fledermäuse gerne ihre Höhlen suchen“,
erklärt Baumann.
Von manchen Spezies gibt es im Stadtwald sogar zu viele: Nach einem milden Winter vermehren sich die Wildschweine kräftig, viele Frischlinge wurden im Frühjahr geboren.
„Um die Population zu regulieren, haben wir die Jagdsaison zum 1. Mai eröffnet“,
berichtet die Stadtforst-Leiterin. Spaziergänger im Wald sollten auf den Wegen bleiben und sich rücksichtsvoll verhalten. Für Menschen bestehe aber keine Gefahr: „Wildschweine meiden uns. Ein Angriff droht nur, wenn sich ein Tier extrem in die Enge getrieben fühlt oder aufgrund einer Verletzung nicht fliehen kann. Auch gehört der Mensch nicht zum Beuteschema des Wildschweines.“ Das gelte im Übrigen auch für Wölfe.