Nervenzellen reagieren auf Botenstoffe von Tumoren und werden dadurch übersensibel für Schmerzreize

Wie Krebsschmerz entsteht

Heidelberg – Wie Krebsschmerz, unter dem besonders Patienten mit Krebsabsiedlungen im Knochen oder bestimmten Tumoren der Bauchspeicheldrüse leiden, seinen Anfang nimmt, haben Wissenschaftler des Universitätsklinikums Heidelberg um Professor Dr. Rohini Kuner und des Deutschen Krebsforschungs­zentrums um Professor Dr. Hellmut Augustin nun entdeckt: Schütten Tumoren bestimmte Botenstoffe aus, um das Wachstum neuer Blutgefäße in ihrer Umgebung anzuregen, reagieren benachbarte Nervenzellen empfindlich. Das macht sie übersensibel für Schmerzreize. Der Sensor für diese Botenstoffe ist ein sogenanntes Rezeptorprotein (VEGF-Rezeptor 1), das zwar schon länger bekannt ist, über dessen genaue Funktion man bisher aber noch wenig weiß. Es kommt in Blutgefäßen und Nerven­endigungen vor. Wird es im Experiment blockiert, lindert das die Tumorschmerzen. Die Forschungsergebnisse sind nun im renommierten Journal "Cancer Cell" erschienen.

Erreicht ein Tumor eine bestimmte Größe, benötigt er für sein weiteres Wachstum eine gute Anbindung an den Blutkreislauf. Indem er bestimmte, auch im gesunden Körper vorkommende Wachstumsfaktoren an seine Umgebung abgibt, regt er benachbarte Blutgefäße dazu an, neue Verzweigungen zu bilden. Eine wichtige Rolle in diesem Prozess spielen der Wachstumsfaktor VEGF (Vas­cu­lar En­do­the­lial Growth Fac­tor) und verwandte Moleküle. Sie binden an Rezeptorproteine (VEGF-R1 und -R2) in den Gefäßwänden und aktivieren so die Bildung neuer Blutgefäße. VEGF und Konsorten sind aber auch bei Entwicklungs­prozessen im Nervensystem beteiligt und Nervenenden außerhalb von Gehirn und Rückenmark tragen auch im Erwachsenenalter noch VEGF-Rezeptoren an ihrer Oberfläche.

"Wozu ausgereifte Nervenzellen Sensoren für Wachstumsfaktoren des Gefäßsystems benötigen, ist unklar. Allerdings ist die Interaktion zwischen Nerven und Blutgefäßen bisher noch kaum erforscht",

sagt Professor Dr. Rohini Kuner, Ge­schäfts­füh­ren­de Di­rek­to­rin des Phar­ma­ko­lo­gi­schen In­sti­tuts der Uni­ver­si­tät Hei­del­berg.

Kein Tumorschmerz, wenn eines von zwei ähnlichen Rezeptorproteinen fehlt

Die Heidelberger Wissenschaftler zeigten im Mausversuch, dass die Wachstumsfaktoren wie VEGF Nerven für Schmerzreize sensibilisieren: Sie reagieren fortan schon auf geringe, an sich harmlose Reize mit einer Schmerzmeldung. Verantwortlich dafür ist allerdings nur einer der beiden Rezeptoren, der VEGF-Rezeptor 1. Dies entdeckten die Forscher, indem sie die Rezeptor­proteine 1 und 2 jeweils einzeln und gezielt nur in den Nervenzellen blockierten. Ohne funktionsfähigen Rezeptor 1 trat beim Abtasten kaum Sensibilisierung auf, ohne Rezeptor 2 dagegen war die Empfindlichkeit unverändert erhöht.

Zusätzlich analysierte das Team Tumorgewebe von Patienten mit einer bestimmten und sehr schmerzhaften Form des Bauchspeicheldrüsen­krebs, dem duktalen Pankreaskarzinom. Die Patienten wurden entsprechend ihrer Schmerzen vor der Operation in drei Gruppen eingeteilt. Es zeigte sich: Je stärker die Tumorschmerzen, desto mehr VEGFR1 fand sich auf der Oberfläche der Nervenendigungen. "Wir gehen davon aus, dass die Intensität der Tumor­schmerzen direkt mit der Menge und Aktivität des Rezeptorproteins VEGFR1 zusammenhängt", sagt Erstautorin Dr. Deepitha Selvaraj vom Phar­ma­ko­lo­gi­schen In­sti­tut. Auch bei den äußerst schmerzhaften Tumorabsiedlungen in Knochen, z.B. bei Prostata­krebs, ist die Menge des Rezeptorproteins auf den umliegenden Nervenzellen erhöht.

"Unsere Ergebnisse zeigen allerdings nur, wie es zur Sensibilisierung der Nervenzellen durch das Tumorwachstum kommt. Was anschließend den anhaltenden Krebs­schmerz aufrecht erhält, muss noch erforscht werden",

so die Wissenschaftlerin. Offen ist zudem die Frage, warum nur bestimmte Tumoren Schmerzen auslösen, andere, wie beispielsweise Brustkrebs, trotz gleicher Wachstumsmechanismen dagegen nicht.

Gezielte Schmerztherapie ohne Wirkung auf Blutgefäße

Trotzdem geben die Arbeiten ersten Anhaltspunkte, wie Krebsschmerz in Zukunft besser behandelt werden könnte:

"Wir empfehlen, direkt den Rezeptor 1 mit Hilfe spezieller Blocker auszuschalten. Fängt man die Wachstumsfaktoren ab, was man bereits bei einigen experimentellen Krebstherapien tut, um das Tumorwachstum zu stoppen, greift man gleichzeitig die gesunden Blutgefäße an. Bei einer R1-Blockade konnten wir bisher keine Gefäßveränderungen feststellen",

so Professor Kuner.