Fußball statt Böller

Böller an Silvester sind in Ordnung. Und dabei sollte es bleiben ...

Deutschland freut sich kollektiv – wenn die Fußball-Nationalmannschaft während der zur Zeit laufenden Weltmeisterschaft spielt. Man trifft sich landauf landab zum gemeinsamen Fern-Sehen vor großen Bildschirmen. Viele sind bunt kostümiert und tragen ebenso bunte Fußballtrikots. Es eint sie, dass sie sich freuen. Nicht nur, „wenn Deutschland gewinnt“, wie man so sagt, sondern auch daran, dass man gerne zusammensitzt. Warum auch nicht? Die Stimmung bei solchen „Public Viewings“ ist – im Gegensatz zu manchen Bundesliga-Begegnungen – gewaltfrei und tolerant. Fans anderer Nationalmannschaften werden gerne integriert und deren Vorlieben respektiert.

Die anschließenden Auto-Korso, also das gemeinsame Fahren in mehreren, meist mit Nationalflaggen geschmückten Fahrzeugen und Dauer-Hupen, waren in den letzten Jahren fast ausschließlich nach dem Finale, bestenfalls schon nach dem Halbfinale zu beobachten. Nun gibt es diese fröhlichen Fahrzeugkolonnen schon nach Vorrundenspielen. Man kann das mögen oder nicht, spätestens eine halbe Stunde nach Abpfiff haben sie sich aufgelöst. Der deutsche Soziologe Alfred Fuhr sagte kürzlich in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung*, dass sich die Fans aufgehoben fühlen in der großen Masse des Public Viewing. Er spricht auch davon, dass der Auto-Korso ein Mittel ist, dieses Gefühl noch ein wenig zu verlängern, denn: „Die Masse spürt die Gefahr, wieder zu vereinsamen“, so Fuhr.

Als normaler TV-Fußballzuschauer betrachtet man die leicht karnevaleske Prozession der schwarz-rot-goldenen Kolonnen amüsiert. Es ist ja keine Zumutung Leuten zuzusehen, die sich einfach nur freuen.

Neu bei diesem Turnier ist, das nach dem Abpfiff geböllert wird. Anders gesagt: Menschen treten nach Spielende auf die Strasse und zünden Silvesterböller. Der Verfasser dieser Zeilen hat das Kracherzünden sogar im beschaulichen Weinheim an der Bergstrasse beobachtet. Die Kreisstadt besticht durch den angrenzenden Exotenwald, den Waidsee und die schöne Altstadt. Im Schloss und Schlosspark wird sehr gerne geheiratet.

Dass in Weinheim geböllert wird, lässt den Schluss zu, dass anderswo im Land noch erheblich mehr Kracher zur Detonation kommen, zum Leidwesen vieler Haustiere und vermutlich nicht weniger Eltern, deren Kleinkinder gerade erst zum Einschlafen gebracht wurde. Übrigens fand die Böllerei die letzten Male noch bei besten Tageslicht statt, von sichtbaren „Feuerwerk“ kann keine Rede sein.

Das Zünden von lauten Silvesterböllern löst das friedlich-fröhliche Flair des gemeinsamen Fußball-Guckens ab, verdrängt sie und ersetzt sie durch eine aggressiv-unangenehme Stimmung. Das Abfackeln von Pyrotechnik in den Fußballstadien, das schon manchen Spielabbruch zur Folge hatte und viele Väter davon abhält, mit ihren Söhnen und Töchtern zum Fußball zu gehen, gelangt mit dieser Weltmeisterschaft in die Mitte der Gesellschaft, in die Strasse vor dem eigenen Haus, vor der eigenen Wohnung. Anders gesagt: Wer nach Spielende vor die Tür will, läuft nun Gefahr, einen Böller zwischen die Füße geworfen zu bekommen.

*Ausgabe vom 6. Juli 2014, Seite 46