Neustadt: Bibelmuseum erwirbt Prachtausgabe der Neustadter Bibel von 1594

Neustadt an der Weinstraße – Das Pfälzische Bibelmuseum in Neustadt an der Weinstraße hat eine prachtvolle Ausgabe der Neustadter Bibel von 1594 erworben. Seit rund 18 Jahren überprüft der Leiter des Bibelmuseums, Michael Landgraf, regelmäßig Auktionen und Angebote von Antiquaren im In- und Ausland. In der Schweiz wurde er bei einem Antiquariat, das die Bibel gerade eingestellt hatte, fündig. So konnte er das äußerst seltene und besonders gut erhaltene Exemplar für das Bibelmuseum erwerben und zurück in seine Heimatstadt bringen.

Historischer Hintergrund

Die Bibel ist Zeugnis einer Zeit, in der Neustadt an der Haardt mit seiner Hochschule, dem Casimirianum, ein europaweit beachtetes Zentrum der reformierten Welt war. Kurfürst Friedrich III. (reg. 1559-1576) führte um 1561 die Lehre Calvins in der Kurpfalz ein – als erstes Territorium im Reich. Die Heidelberger Universität wurde Zentrum reformierter Lehre, mit dem 1563 von Zacharias Ursinus verfassten „Heidelberger Katechismus“ als Grundlage. Der Kurfürst veranlasste auch die Entwicklung einer Bibelausgabe mit Verszählung. Auf diese Weise konnte man theologische Aussagen besser mithilfe der Bibel überprüfen. Als Friedrich III. 1576 starb, begannen Jahre konfessioneller Zweigleisigkeit. Sein ältester Sohn Ludwig VI. (Kurfürst 1576-1583) war strenger Lutheraner. Reformierte Professoren mussten Heidelberg verlassen und fanden Aufnahme im Herzogtum Pfalz-Lautern. Dort schuf ihnen in Neustadt an der Haardt Ludwigs jüngerer Bruder Johann Casimir mit dem Casimirianum 1578/79 eine neue Hochschule. Hier lehrten berühmte Professoren wie Daniel Tossanus (1541-1602), Hieronymus Zanchius (1516-1583), Franz Junius (1545-1602), Heinrich Smetius (1537-1614) und Johannes Piscator (1546-1625). Zu den führenden Theologen der Zeit zählte Zacharias Ursinus (1534-1583). Sein Schüler David Pareus (1548-1622) führte dessen Werk weiter. Er kommentierte die 1587/88 erschienene erste Ausgabe der Neustadter Bibel. Mit den Professoren kam auch der reformierte Druckerverleger Matthäus Harnisch von Heidelberg nach Neustadt. Rund 240 Buchtitel werden ihm zugeschrieben, beispielsweise Jakob Christmanns „Alphabetum arabicum“ (1582) oder Christoph Wirsungs „Neues Artzneybuch“ (1582). Seine am meisten beachteten Werke sind aber die Neustadter Bibeln.

Die Neustadter Bibeln

Welche Bibelübersetzung sollte in der reformierten Kurpfalz verwendet werden? Man entschied sich für den Luthertext statt für den der reformierten Zürcher Bibel von Huldrych Zwingli. Allerdings waren Luthers Anmerkungen und Zusätze nicht mit der reformierten Lehre vereinbar, sodass man diese entfernte. Umgesetzt wurde dies zunächst in Bibelausgaben, die 1568/1569 in Heidelberg und 1579 in Neustadt im handlichen Quartformat (Rückenhöhe etwa 23-26 cm) erschienen. Außer den Vorreden zum Alten und Neuen Testament sowie zu den Propheten waren die Anmerkungen Luthers beseitigt. Neu und revolutionär war die komplette Verszählung, die nun erstmals in einer Bibelausgabe vorlag. Um Johann Casimir zu danken, fügte man ein Widmungsblatt mit dessen Bild ein.

Der nächste Schritt war eine reformierte Kommentierung, die David Pareus (1548-1622) in der Neustadter Bibel von 1587/88 umsetzte. Auch diese war im Quartformat erschienen. In der Einleitung ist zu lesen, dass Pareus von der Neustadter Bibel von 1579 den Luthertext und die Verszählung übernommen hatte. Die Vorrede fasste die Bedeutung der Heiligen Schrift für Laien zusammen. Der junge Kurfürst Friedrich IV. solle angesichts gefährlicher Zeiten sein Leben nach der Heiligen Schrift ausrichten und sich Johann Casimir zum Vorbild nehmen. Um Leser*innen Verständnishilfen zu bieten würden die Bibelbücher durch Vorre- den eingeführt und dem Bibeltext kurze Lehraussagen reformierter Prägung vorangestellt. Im Unterschied zu Luther, der Apokryphen, den Jakobus- und Hebräuerbrief sowie die Apokalypse kritisierte, wertete Pareus alle biblischen Bücher als gleichranging.
1590/91 wurde eine zweite Auflage gedruckt, ebenfalls im Quartformat.

Die Neustadter Bibel von 1594 war die erste großformatige Ausgabe im Folio-Format (Buchrücken ca. 32-35 cm). Sie gilt wegen ihrer Ausstattung als prächtigste aller Neustadter Bibeldrucke. Das 2019 erworbene Exemplar ist umfangreich ausgestattet. Es umfasst neu aufgenommene apokryphen Bücher, beispielsweise 3. und 4. Esra und das 3. Buch der Makkabäer, sowie ein ausführliches Register. Im Anhang wurden das damalige Gesangbuch der Kurpfalz, die Psalmengesänge des Ambrosius Lobwasser, der Heidelberger Katechismus, die kurpfälzische Kirchenordnung sowie große Schautafeln zu biblischen Kultgegen- ständen, der Arche Noahs und des Jerusalemer Tempels hinzugefügt. Zusätzlich wurde ein 1583 entstandenes bibelkundliches Werk aus Frankfurt beigebunden.

Die vierte Auflage von 1596 erschien wieder im kleineren Quartformat. Nachdrucke in Hanau folgten 1613. Da die Neustadter Druckermarke kopiert wurde, kann man diese Ausgaben oberflächlich nur über vorhandene Titelblätter erkennen.

Inhaltlich war die Neustadter Bibel durch die Kommentare des David Pareus ein Lehr- und Verkündigungsbuch reformierter Prägung. Vereinzelt wenden sich Kommentare gegen Ka- tholiken, Täufer und Lutheraner. Es wird ein Leben angemahnt, dem man die Erwählung Gottes und die Orientierung an der Heiligen Schrift anmerken soll. Politisch Verantwortliche haben für ein geordnetes Glaubensleben Sorge zu tragen.

Die Reaktion auf den Neustadter Bibeldruck kam bereits 1588. Es erschien eine Streitschrift von Jakob Andreä, dem Kanzler der Tübinger Universität, unter dem Titel: „Christliche/ Trewhertzige Erinnerung/ vermanung vnd warnung/ vor der zur Newenstatt an der Hart nachgetruckten/ verfälschten/ vnd mit Caluinischer Gottslästerlicher Lehr beschmeißten Bibel D. Martin Luthers.“ Darin beschimpfte er das Werk des Pareus als „Erzbubenstück“ und „calvinistische verdammte Ketzerei.“ Es würden Irrtümer verbreitet und Luthers heilsame Lehre „ausgekratzt.“ So nennt er die Neustadter Bibel mit des „Teufels Kot beschmeißte Bibel.“ Pareus wehrte sich mit einer 1589 erschienenen Gegenschrift. Er betonte, dass er ja Luthers Übersetzung unverändert übernommen habe. Doch ging der Streit weiter und war ein Beispiel für die Trennung der protestantischen Konfessionen, der im Konfessionalismus endete und erst durch die Unionsbewegung im 19. Jahrhundert in der Pfalz aufgelöst wurde.

Paul Tossanus (1572-1634), Sohn des ersten reformierten Neustadter Dekans und Rektors des Casimirianums, Daniel Tossanus, führte das Werk des David Pareus fort. Er ergänzte die reformierten Kommentierungen. Im Jahre 1617 erschien in Heidelberg sein mächtiges Bibelwerk, die Tossanus-Bibel. Diese Bibelausgabe erfreute sich in reformierten Kreisen großer Beliebtheit und wurde in Frankfurt, Minden und Basel bis ins 18. Jahrhundert nachgedruckt. So wirkte die in Neustadt begonnene Bibeltradition lange nach.

Literatur:
– Traudel Himmighöfer, Die Neustadter Bibel von 1587/1588. EPV Speyer 1986
– Michael Landgraf (Hg.): Die Bibel und die Pfalz. Ubstadt-Weiher 2005
– Die Neustadter Bibel von 1579. Mit einer Einleitung von Michael Landgraf. Hg. von der Stiftung zur Förderung der Pfälzischen Geschichtsforschung, Reihe D. Neustadt 2009