Mainz: Theater trifft Bibel – Kooperation von Evangelischem Dekanats Mainz und Staatstheater gibt Denkanstöße

Sebastian Brandes liest Georg Forster. (Foto: Armin Thomas)
Sebastian Brandes liest Georg Forster. (Foto: Armin Thomas)

Mainz – Wenn biblische Texte außerhalb ihres gewohnten Umfelds gelesen werden, können Zuhörer sie anders wahrnehmen und dabei womöglich einen neuen Zugang entdecken. Das ist die Idee, die hinter einer neuen Veranstaltungsreihe des evangelischen Dekanats unter dem Titel „Theater trifft Bibel“ steckt. Dies erläuterte Isa Mann von der Evangelischen Erwachsenenbildung zu Beginn der ersten Lesung dieser Reihe in der ökumenischen Josefskapelle des städtischen Altenheims. Während des Lutherjahres habe es 2017 mehrere Kooperationen mit dem Mainzer Staatstheater gegeben. Daran wolle man nun anknüpfen. Das Thema zum Auftakt hieß: „Die Welt – ein besserer Ort“. Gregor Ziorkewicz, Pfarrer für Stadtkirchenarbeit an St. Johannis, erläuterte, dass es um die Frage geht: „In welcher Gesellschaft wollen wir leben?“

Sebastian Brandes, Schauspieler am Mainzer Staatstheater, trug Texte aus dem Neuen und dem Alten Testament vor und stellte sie gleichsam in einen Dialog mit Reiseberichten Georg Forsters. Mit Zitaten aus dem Römerbrief des Paulus (Kapitel 12, 9-21 sowie 13, 1-4) begann Brandes: „Die Liebe sei ohne Falsch. Hasst das Böse, hängt dem Guten an. Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsaal, beharrlich im Gebet.“ Das klang zunächst wenig überraschend. Doch dann schon: „Jedermann sei Untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott. Wo aber Obrigkeit ist, ist sie von Gott angeordnet.“ Dies führte später zu einer spannenden Diskussion.

Doch erst einmal entführte der 35-jährige Sebastian Brandes, seit 2014 Mitglied des Ensembles am Mainzer Staatstheater, die Zuhörer in die Welt des jungen Georg Forster, der einst als 17-Jähriger mit James Cook die Welt umsegelte und 1792/93 an der Spitze der Bewegung stand, die in Mainz für kurze Zeit die erste deutsche Republik ausrief und daran mitwirken wollte, das für ihn paradiesische Leitbild einer Gesellschaft zu verwirklichen, in der alle Menschen gleich sind. Brandes vermittelte den Zuhörern einen lebhaften Eindruck davon, wie erstaunt und überrascht Forster vom ursprünglichen Leben der Menschen auf Tahiti gewesen sein muss. „Die Leute, welche uns umgaben, hatten so viel Sanftes in ihren Zügen, so viel Gefälliges in ihrem Betragen. Die Frauenpersonen, welche sich unter ihnen befanden, waren hübsch genug, um Europäern in die Augen zu fallen, die seit Jahr und Tag nichts von ihren Landsmänninnen gesehen hatten.“

Dazu passten inhaltlich und in ihrer Sprachmelodie Verse aus der Apostelgeschichte (4, 32ff.), wo es unter anderem heißt: „Die Menge der Gläubigen aber war ein Herz und eine Seele; auch nicht einer sagte von seinen Gütern, dass sie sein wären, sondern es war ihnen alles gemeinsam.“

Wer nun erwartet hatte, dass es in diesem Tonfall weitergehen würde, sah sich getäuscht. Denn auch im vermeintlichen Paradies des Georg Forster berichtet dieser, wie er zu einem hübschen Hause kam, „in welchem ein sehr fetter Mensch ausgestreckt da lag und in der nachlässigsten Stellung, das Haupt auf ein hölzernes Kopfkissen gelehnt, faulenzte“. Eine Frauenperson setzte sich neben ihn und stopfte ihm von einem großen gebratenen Fisch und allerlei Früchten „jedesmal eine gute Handvoll ins Maul, welches er mit sehr gefräßigem Appetit verschlang“. Der Mann, der sich nur für das Wohl seines Bauches zu interessieren schien, „bot ein vollkommenes Bild phlegmatischer Fühllosigkeit“. Das große Vergnügen, das die Reisegruppe bei ihren bisherigen Spaziergängen empfunden hatte, schreibt Forster, „ward durch den Anblick und durch das Betragen dieses vornehmen Mannes nicht wenig vermindert“.
Nachdenklich stimmte die Zuhörer auch eine Passage aus dem ersten Buch Samuel (8, 1-20): Die Ältesten Israels forderten Samuel auf, ihnen einen König zu geben, der über sie richten soll. Samuel missfiel dies und er betete zu Gott. „Der Herr aber sprach zu Samuel: Gehorche der Stimme des Volkes in allem, was sie zu dir sagen; denn sie haben nicht dich, sondern mich verworfen, dass ich nicht mehr König über sie sein soll. So wie sie es immer getan haben von dem Tage an, da ich sie aus Ägypten führte.“
Sebastian Brandes kehrte noch einmal zu Georg Forster zurück, der den Abschied von Tahiti voller Wehmut schildert: „Der Wind, mit welchem wir absegelten, war so schwach, dass wir die Insel den ganzen Abend hindurch noch nahe im Gesicht behielten und die überschwänglich schöne Aussicht auf die Ebene vor uns hatten“. Forster schwärmt von der „ungestörten sorgenfreien Glückseligkeit“ der Insulaner, um zu dem überraschenden Schluss zu kommen: „Wahrlich: Wenn die Wissenschaft und Gelehrsamkeit einzelner Menschen auf Kosten der Glückseligkeit ganzer Nationen erkauft werden muss, so wäre es – für die Entdecker und die Entdeckten – besser, dass die Südsee den unruhigen Europäern ewig unbekannt geblieben wäre!“

Den biblischen Schlusspunkt bildete die Jothamfabel aus dem Alten Testament (Richter 9, 8-16), in der die Bäume einen der ihren zum König salben wollen. Ölbaum, Feigenbaum und Weinstock lehnen ab. „Da sprachen alle Bäume zum Dornbusch: Komm‘ du und sei unser König!“

Einige Zuhörer reagierten im Anschluss an die Lesung etwas irritiert. Im Gespräch mit Isa Mann, Gregor Ziorkewicz und Sebastian Brandes äußerte ein Teilnehmer sein Unbehagen über die Aussagen von Paulus zur Obrigkeit. Ziorkewicz erläuterte, dass die Zusammenstellung der Texte ein Experiment gewesen sei. Bewusst habe man der Position des Paulus königskritische Texte aus dem Alten Testament entgegen gestellt. Ob Georg Forsters Reiseerlebnisse Einfluss auf sein späteres politisches Engagement gehabt habe, wollte eine Besucherin wissen. Isa Mann: „Die Reisen haben ihn geprägt, aber auch die Ideale der französischen Revolution haben ihn bewegt.“

Eine Lehre aus der Lesung habe er gezogen, sagte ein Besucher: „Bei Menschen ist der Herdendrang durchaus ausgeprägt.“ Daran knüpfte Sebastian Brandes an: „Forster gilt als ein Vater der Demokratie. Und man sollte immer daran denken, dass Demokratie nicht selbstverständlich ist. Man muss immer wieder um sie kämpfen.“

Die nächste Folge von „Theater trifft Bibel“ findet am Sonntag, 10. Juni 2018, ab 16 Uhr in der Josefskapelle des städtischen Altenheims statt: „… dass der Wein erfreue des Menschen Herz“ (Psalm 104,15) lautet das Thema.