Mannheim – Die Wiederentdeckung der Louis-Seize-Treppe in C 4, 6, dem ehemaligen Wohnhaus u.a. von Franz Anton von Heiligenstein, dem Leibchirurgen der Kurfürstin, sowie der Familie Engelhorn, kommt einer Sternstunde in der Erforschung der Mannheimer Bau- und Hofkultur des 18. Jahrhunderts gleich.
Die Wiederentdeckung der Louis-Seize-Treppe in C 4, 6, dem ehemaligen Wohnhaus u.a. von Franz Anton von Heiligenstein, dem Leibchirurgen der Kurfürstin, sowie der Familie Engelhorn, kommt einer Sternstunde in der Erforschung der Mannheimer Bau- und Hofkultur des 18. Jahrhunderts gleich. Im Zuge der Einrichtung des MATex, einem Kompetenzzentrum für Mode und Textilwirtschaft, wurde nicht nur die Immobilie innerhalb der letzten knapp zwei Jahre umfassend saniert, sondern auch eine klassizistische Treppenanlage mit fein konstruiertem Steinaufbau und nahezu original erhaltenem kunstvollem Schmiedeeisengeländer restauriert. Das Treppengeländer war zu Beginn der Restaurierung einbetoniert, ältere Schäden und Eingriffe bestimmten sein Erscheinungsbild.
Bei einem Pressetermin am Donnerstag, 27. August, stellte Wirtschaftsbürgermeister Michael Grötsch gemeinsam mit den Spendern die restaurierte Treppenanlage, die eine besondere künstlerische und denkmalpflegerisch Bedeutung hat, erstmals der Öffentlichkeit vor. Die Finanzierung erfolgte durch den Verein Stadtbild e.V. mit maßgeblicher Unterstützung durch das Friedrich Engelhorn-Archiv e.V. sowie den Rotary Club Mannheim. Vor Ort sprachen Dr. Hans-Otto Brinkkötter und Stefanie Dunz (Friedrich Engelhorn-Archiv e.V), Dr. Lothar Stöckbauer (Verein Stadtbild e.V.) sowie Andreas Burger (Rotary Club Mannheim) über das Engagement für die Restaurierung der Treppenanlage.
Die Kunstschmiede Martin Wilperath und Christian Traubel, die das Treppengeländer restauriert hatten, sowie Restaurator Michael Müller vom Steinmetzbetrieb Ralph Eschelbach, zuständig für die Restaurierung der Treppenstufen, erläuterten die letzten handwerklichen Handgriffe ihrer Arbeiten.
Bürgermeister Michael Grötsch betonte: „Das außerordentliche Engagement des Friedrich Engelhorn-Archiv e.V., des Stadtbild Mannheim e.V. und des Rotary Club Mannheim ermöglichte die Restaurierung dieses seltenen Kleinodes. Dafür danke ich sehr herzlich. Der Erhalt dieses bauhistorischen wertvollen Gebäudes ist ein Gewinn für die Stadt Mannheim.“
Gesamtprojektumfang
Das denkmalpflegerisch hochwertige barocke Gebäude mit außerordentlicher Historie hätte ohne Zutun der öffentlichen Hand nicht saniert werden können. Insgesamt beläuft sich die Investition in die Restaurierung des barocken Gebäudes auf rund 2,6 Millionen Euro. Die EU und Land Baden-Württemberg trugen davon rund 1,4 Millionen Euro im Rahmen der EFRE-Strukturförderung. So wurde beispielsweise für die Deckenbalken aus der Anfangszeit des Gebäudes ein umfassendes Sanierungskonzept erarbeitet.
Historische Einordnung
Die Errichtung des Hauses C 4, 6 geht auf die Zeit um 1725 zurück. Mit zwei Geschossen, vier Achsen dicht gereihter, großer Ohrenfenster und Mansarddach entsprach es nahezu modellhaft den kurfürstlichen Vorstellungen eines barocken Bürgerhauses in der Residenzstadt Mannheim. 1767 erwarb Franz Anton Heiligenstein das Anwesen, der als Leibchirurg der Kurfürstin in die Pfalz berufen worden war. Er baute seine „Wohnstatt“ standesgemäß aus. Vor allem wurde die Haupttreppe zwischen Vorderhaus und Seitenflügel in repräsentativer Weise erneuert. Eine teils freischwingende Sandsteintreppe französischer Prägung führt in einem elegant gebogenen Lauf in das Obergeschoss, das die gesellschaftlich relevanten Räume enthielt. Das sie begleitende schmiedeeiserne Geländer zeigt Motive und Formen im Louis-Seize-Klassizismus, der ab 1765 am französischen Hof entwickelt worden war und über Künstler wie Peter Anton von Verschaffelt und Nicolas de Pigage an den Mannheimer Hof vermittelt wurde. Einer Grundstruktur aus schlanken, viereckigen Pfosten, Diagonalstegen und offenen, einander gegenüberstellten C-Schwüngen sind fest gewickelte Lorbeergirlanden und Lorbeerkränze eingeschrieben, aufgehängt an Bändern mit zierlichen Schleifen. Broschen ähnliche Blütenketten durchziehen die niedrigen Felder in Schritthöhe und unterhalb des Handlaufs. Die Ausarbeitung ist filigran und trägt alle Merkmale einer individuellen Fertigung. Die Treppe mit den Louis-Seize-Motiven signalisierte dem Besucher die Vornehmheit und Weltläufigkeit, die nur Mitglieder des Hofes auszeichneten. Heiligenstein meldete mit der aufwendigen Erneuerung seines Haupttreppenhauses einen Anspruch an, der 1792 mit der Erhebung in den Adelsstand eingelöst wurde.
Das Treppengeländer besitzt nicht nur eine hohe künstlerische und ikonologische Qualität, sondern ist auch die einzige original erhaltene Kunstschmiedearbeit des späten 18. Jahrhunderts in Mannheim. Sämtliche Ausstattungen des Louis-Seize, die Mannheimer Wohnstätten einst zierten, sind unwiederbringlich verloren, zumeist durch die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs.
Bewertung der Immobilie durch das Friedrich Engelhorn-Archiv e.V.
Das Haus C 4, 6 hatte für die Familie Engelhorn eine große Bedeutung. Friedrich Engelhorn verbrachte hier nach mehrjähriger Lehr- und Wanderzeit durch Europa vier entscheidende Jahre seines privaten wie beruflichen Lebens. Er leistete gerade auch in dieser Zeit ein herausragendes bürgerliches Engagement, wie viele historische Dokumente belegen. Einige davon sind in der Vitrine im Hauseingang ausgestellt.
Das barocke Haus mit dem kunstvollen Geländer war für Friedrich Engelhorn ein „genius loci“: Einerseits im Rahmen seiner künstlerischen, kreativen Tätigkeit als Juwelier bzw. „Goldarbeiter“ wie er sich selbst bezeichnete. Andererseits als engagierter Bürger, der mit einer „List“, also mit einem klugen Manöver couragiert seine Heimatstadt vor einer blutigen Katastrophe bewahrte Schließlich entwickelte er die Ide, Licht ins nächtliche Mannheim – in die Häuser und auf die Straßen – zu bringen, indem er eine Fabrik zur Herstellung von Leuchtgas gründete. Das dabei anfallende Abfallprodukt wusste er alsbald genial zu nutzen und initiierte wenige Jahre später die Gründung der BASF.
C4, 6 wird neues Zuhause des MATex
Das MATex Kompetenzzentrums für Mode- und Textilwirtschaft öffnet im Herbst 2015 seine Pforten. Dort sollen ambitionierte und innovative Firmengründern aus den Bereichen Mode und Design ein unternehmerisches Zuhause und kreatives Umfeld finden. Das Zentrum wird Ateliers in verschiedenen Ausstattungsvarianten, Werkstätten mit professionellen, hochwertigen Industrienähmaschinen und temporäre Arbeitsplätze sowie Büroräume beinhalten. Außerdem ein Ladengeschäft und einen Webshop als Vertriebskanäle, in dem die Kreationen „made in Mannheim“ verkauft bzw. erworben werden können.