Rheinzabern: Volksfeststimmung bei der Brunnenübergabe

Der Ortsbürgermeister bei der Ansprache (Foto: Beil)
Der Ortsbürgermeister bei der Ansprache (Foto: Beil)

Rheinzabern. Eine große Besucherschar aus jetzigen und ehemaligen Anwohnern des Flachsmarkts, aber auch der ganzen Gemeinde, nahm am vergangenen Freitag, 25.8.2017, an der Übergabefeier für den neuen Flachsmarktbrunnen teil. Dabei ging es um mehr als Nostalgie.

Eingestimmt durch „Am Brunnen vor dem Tore“, eines der berühmtesten deutschen Volkslieder und Inbegriff deutscher Romantik, ging Ortsbürgermeister Gerhard Beil auf die Geschichte des Flachsmarktes und die große Not im 19. Jahrhundert ein. Damals mussten sich noch ca. 50% der Rheinzaberner als Tagelöhner durchschlagen. Kinderarbeit war an der Tagesordnung, Schmalhans Küchenmeister, Tuberkulose, Typhus und Diphterie waren Dauergast in den kinderreichen Familien. Die Not wurde nicht kleiner, als die Baumwolle aus den Kolonien die heimische Flachserzeugung verdrängte und der Tabakanbau Einzug hielt. Viel zum Elend trug das unhygienische Brunnenwasser bei, das oft in Nähe von Jauchegruben gewonnen wurde. Seit 1955 ist Rheinzabern an die Wasserversorgung Germersheimer Südgruppe in Jockgrim angeschlossen. Der letzte Dorfbrunnen verschwand.

Zwei Anwesen mussten dem Verkehr weichen. Ein Wandgemälde erinnerte noch an die ehemalige Dorfidylle, doch war immer wieder der Wunsch geäußert worden, einen „echten“ Brunnen am Flachsmarkt zu errichten.

Ortsbürgermeister Gerhard Beil meinte: „Der neue Brunnen erinnert im Sinne von „Denk mal, Mensch!“ auf mehrfache Weise an Einst und Heute, er symbolisiert den Umbruch unserer Gesellschaft in den letzten 150 Jahren. In den 30-er bzw. den 50-er und 60-er Jahren des letzten Jahrhunderts baute sich so mancher Flachsmarktbewohner ein Haus in der Siedlung, im Rappenfeld oder den Rehgärten. Landwirte mit Zukunftsperspektive siedelten aus. Sie brauchten immer größere Anbauflächen. Die aufkommende Industrie bot Lohn und Brot in einer europa- und weltweit verflochtenen Wirtschaft, wo mittlerweile nicht nur viele Einkommen, sondern auch viele Renten verdient werden. Verschwunden sind Tante-Emma-Laden, Bäckerei, Eisdiele, Metzgerei, Gasthaus „Zum Adler“, Wagner, Schneider, Ackerer und viele Fabrikarbeiter mit Landwirtschaft im Nebenerwerb.

Verschwunden auch das Kopfsteinpflaster, viel Fachwerk und die typischen Dorfgeräusche, die Gerüche nach Holzfeuer, Küche, Keller, Ziegen-, Kuh- und Schweinestall, nach Heu und Stroh, Karchschmier und Kernseife“. Romantisch war es im Flachsmarkt selten, so Beil, aber es sei immer etwas los gewesen.

Mittlerweile wohnen am Flachsmarkt Menschen verschiedenster Landsmannschaften und Nationalitäten – und alle sagen: „Rheinzabern – hier gefällt’s mir!“. So erinnert der neue Brunnen an den ständigen Strukturwandel und die globale Verflechtung selbst eines kleinen Viertels in einer ländlichen Gemeinde. Der Ortsbürgermeister wünschte sich, dass der „Flachsmarkt-Brunnen“ als Katalysator für kulturelle Kontakte dienen möge.

Zahlreiche Zuschauer (Foto: Beil)
Zahlreiche Zuschauer (Foto: Beil)

Im Anschluss an G. Beils Rede enthüllten die Kinder Lias Stadter, Mia Müller und Asia Kilincarslan die Info-Tafel mit wissenswerten Fakten für Jung und Alt. Stammt der Text von Gerhard Beil, so stellten Wilma Gurdan, Richard Trauth und Ruth Brechtel-Schuschu Bildmaterial zur Verfügung.

Architekt Achim Stadter, ein Kind des Flachsmarktes, führte die Planung unentgeltlich durch. Stadter sprach über die die technischen Anforderungen, die Bohrtiefe von 15 Metern und dankte den Handwerkern, ehe er zusammen mit dem Ortsbürgermeister den Brunnen testete. Architekt Stadters Planung fußt auf einer Entwurfsskizze für einen Brunnen mit Plätzchen, die Richard Oeßwein, Stadtbaumeister a.D. von Rosenheim und Mitglied der legendären Michelsgruppe, entwarf. Aus dem Freundeskreis der Michelsgruppe, die seit den 50-er Jahren besteht und gerade aus der Ferne die Heimat wertschätzt, war Leo Eichenlaub ein unermüdlicher Motor. Er dankte deswegen und lobte das Werk im höchsten Maße.

Musikalisch umrahmt wurde die bewegende Feier, die zum Teil auch Tränen fließen sah, durch eine ad-hoc-Seniorinnen-Singruppe um Irmgard Kaufmann und Paula Eichenlaub. Ihr Gesang, begleitet von Akkordeon und Mundharmonika, verführte die Besucher zum Mitsingen. Eine Flötengruppe des MV Lyra gab zwei Stücke zum Besten, nicht zuletzt auch als Ständchen an die Groß- und Urgroßmutter Wilma Gurdan, deren Elterhaus am heutigen Plätzchen stand. Die Gruppe Corni di Pamina unter musikalischer Leitung von Walter Modery setzte mit ihren Parforcehörnern besondere Akzente.

Der Ortsbürgermeister bedankte sich für jede Unterstützung beim Zustandekommen des Projektes, er wird den beteiligten Personen kleine Präsente zukommen lassen.

Eine rundum gelungene Feier, die in einem Brunnenfest im Jahre 2018 fortgesetzt werden soll – so die begeisterten jungen Anwohner aus mehreren Nationalitäten, etlichen deutschen Landsmannschaften und zahlreichen Pfälzer Dörfern, die am Flachsmarkt neue Heimat gefunden haben.

Selbstredend, dass beim anschließenden Umtrunk ständig „Wäscht noch, sellemols?“ hieß. Und hätte nicht die Straßensperrung aufgehoben werden müssen, dann wäre es im Flachsmarkt eine lange Sommernacht geworden. Gesprächsstoff bot der Flachsmarktbrunnen zuhauf auch während der folgenden vier Jahrmarkttage.

Mehr zum Thema Flachsanbau in der Südpfalz vermittelt ein vhs-Vortrag mit Helmut Seebach am Donnerstag, dem 9.11.2017, 19.30 Uhr im Kleinen Kulturzentrum Rheinzabern.