Frankfurts Stiftungslandschaft wächst weiter

Gelebter Bürgersinn

Frankfurt am Main – Das traditionsreiche Stiftungswesen in Frankfurt stellt sich den Herausforderungen der Zukunft: Beim 4. Frankfurter Stiftungsgespräch geht es am 11. November 2015 um das hochaktuelle Thema „Neue Einwanderung – Aufgaben für Stiftungen und Zivilgesellschaft”. Auch 2015 wächst das Bürgerengagement in der Mainmetropole weiter: Mitte Oktober wurde hier die 580. Stiftung gegründet.

„Groß wurde Frankfurt durch die Kraft der Bürger, die Geist und Gut gemeinem Wohle weihten“ – so beginnt das Vorwort im Goldenen Buch der Stiftungen der Stadt. Mit 77 Stiftungen pro 100.000 Einwohner belegt Frankfurt heute hinter Würzburg und gemeinsam mit Hamburg einen Spitzenplatz unter den deutschen Großstädten. Die Stiftungen am Main verfügen über ein Gesamtvermögen von rund fünf Milliarden Euro und schütten jährlich mehr als 400 Millionen Euro aus. Damit fördern sie vor allem Wissenschaft und Forschung, Erziehung und Bildung, Gesundheit und soziale Zwecke sowie Kunst und Kultur.

„Die finanziellen Ressourcen, die Stiftungen zum Wohle der Stadtgesellschaft mobilisieren, ermöglichen Vieles, was für die öffentliche Hand allein nicht zu leisten wäre. Mindestens ebenso wichtig sind aber die Ideen, die Lebenserfahrung der Stifter. Es braucht solche Menschen, die ihr Geld für Dinge ausgeben, die dem gemeinen Wohl der gesamten Stadt zuträglich sind. In Frankfurt tragen Stiftungen seit dem Mittelalter zum sozialen Kapital der Stadt bei“, verweist Oberbürgermeister Peter Feldmann auf die Bedeutung einer lebendigen Stiftungslandschaft für das Gemeinwesen.
Gute Vernetzung ermöglicht schnelles Handeln

Dieses vielfältige Stiftungswesen hat in Frankfurt eine besonders lange Tradition. Bereits im 8. Jahrhundert gab es nachweisbar die ersten Gründungen, und die älteste noch bestehende Stiftung, das Hospital zum Heiligen Geist, datiert aus dem Jahr 1208. Zu den bekanntesten Stiftern gehören der Arzt Johann Christian Senckenberg, der 1763 sein gesamtes Vermögen für die Verbesserung der ärztlichen Ausbildung und die Einrichtung eines Bürgerhospitals zur Verfügung stellte, sowie Johann Friedrich Städel: 1815 unterzeichnete der Kaufmann und Bankier sein Testament und stiftete seinen Kunstbesitz als Grundstock einer für jedermann zugänglichen Sammlung. Das Städelsche Kunstinstitut umfasst auch die Städelschule, an der seither Künstler ausgebildet werden.

„Durch diese bemerkenswerte Tradition sind die Stiftungen in Frankfurt gut vernetzt mit der Stadt, mit Unternehmen und Vereinen“, betont Roland Kaehlbrandt, Vorsitzender des Vorstands der Initiative Frankfurter Stiftungen. „Das hat den großen Vorteil, dass wir schnell auf aktuelle Entwicklungen reagieren können.“ Jüngstes Beispiel dafür ist die Koordinierungsstelle „Frankfurt hilft“, die neun ortsansässige Stiftungen gemeinsam mit dem Sozialdezernat der Stadt eingerichtet haben. Seit Ende September informiert die Stelle unter http://www.frankfurt-hilft.de umfassend darüber, wie sich Interessierte für Flüchtlinge engagieren können.

Wissen der Stiftungen hilft bei Integration

Für Kaehlbrandt ist das Thema Integration eine zentrale gesellschaftspolitische Aufgabe, die sich auch und gerade an Stiftungen richtet: „Denn wir kennen viele erfolgreiche Modellprojekte, die es nun zu verbreiten gilt.“ So habe etwa die Stiftung Polytechnische Gesellschaft, bei der Kaehlbrandt als Vorstandsvorsitzender agiert, viele positive Erfahrungen mit Sprachförderprogrammen wie dem Deutschsommer gemacht, auf denen künftige Angebote aufbauen können.

Dem Erfahrungsaustausch und der vertiefenden Information rund um die Integration dient das 4. Frankfurter Stiftungsgespräch „Neue Einwanderung – Aufgaben für Stiftungen und Zivilgesellschaft”, das am 11. November in der IHK Frankfurt stattfindet. Die Veranstaltung behandelt alle zwei Jahre ein Thema, das die Stiftungen in ihrer gemeinnützigen Arbeit intensiv beschäftigt. 2013 ging es um das „Trommeln für die gute Sache“ – ein Aspekt, der bis heute aktuell ist.

Finanzlage bereitet Probleme

„Fundraising ist ein wichtiges Thema, da der Kapitalmarkt nichts mehr hergibt“, weiß Roman Fehr von der städtischen Stiftungsaufsicht. Kaehlbrandt rät den Stiftungen, angesichts der Lage auf den Finanzmärkten noch stärker zu kooperieren, um Synergien zu nutzen. „Das ermöglicht eine effizientere Arbeit, um den maximalen Nutzen für die Gesellschaft zu erzielen.“ Bei manchen kleinen Stiftungen allerdings reichen die derzeitigen Erträge aus dem Vermögen kaum aus, um den in der Satzung festgelegten Stiftungszweck zu erfüllen. Eine Lösung könnte hier die Umwandlung in eine Verbrauchsstiftung sein: Das bedeutet, dass das zur Verfügung stehende Vermögen direkt genutzt – und dadurch abgeschmolzen – wird. Als Beispiel für diese Stiftungsform nennt Fehrs Kollege Harald Erdmann die Stiftung zum Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche. Allerdings wird jede Veränderung an der ursprünglichen Satzung und damit am Stifterwillen gemessen, was eine Umwandlung oft erschwert.

Das Gleiche gilt für den ursprünglich festgelegten Stiftungszweck – für Roman Fehr „ein ganz hohes Gut“, das sich kaum umschreiben lässt. Große Stiftungen wie die der Polytechnischen Gesellschaft seien vom Zweck her sehr breit aufgestellt und könnten so auf aktuelle Herausforderungen reagieren. Wenn sich eine Stiftung aber beispielsweise dem Kampf gegen eine bestimmte Krankheit verschrieben hat, könne sie nicht später das Geld für andere Zwecke nutzen.

320 Neugründungen seit 1999 gezählt

Wer willens ist, in Frankfurt eine Stiftung zu gründen, erhält bei der Stiftungsaufsicht eine Erstberatung. Das stellt hessenweit einen historischen Sonderfall dar: Während andernorts im Bundesland die Regierungspräsidien für die Aufsicht der Stiftungen zuständig sind, wurde dieses Aufgabe bereits im Jahr 1525 an den Frankfurter Magistrat übertragen – nur die Genehmigung selbst läuft über das Regierungspräsidium Darmstadt.

Wie die Zahlen belegen, ist der Bürgerwille, Gutes für das Gemeinwohl zu tun, in Frankfurt ungebrochen – trotz der Finanzlage ist ein regelrechter Gründungsboom zu beobachten: Gab es 1999 noch 260 Stiftungen, sind es im Oktober 2015 exakt 580. Allein seit Anfang 2014 wurden knapp 30 neue Stiftungen genehmigt – zur Förderung des Zoos oder der Parkinson-Forschung, zur Unterstützung der Alten-, Jugend- oder Flüchtlingshilfe, zur Verbesserung der Kommunikation mit Taubstummen und vielem mehr.

Fehr führt diese Entwicklung unter anderem auf die Stiftertradition der Stadt zurück: Sie locke auch vermögende Leute etwa aus dem Taunus an, um in Frankfurt eine Stiftung zu gründen. Der „klassische“ Stifter sei um die 60 Jahre alt und wolle sich am Ende des Berufslebens nochmals aktiv in die Gesellschaft einbringen. Hinzu kommen testamentarisch verfügte Gründungen sowie Stiftungen von Unternehmen, deren Zahl aber weiter „überschaubar“ sei.

„Unsere Stiftungslandschaft bietet ein sehr buntes, breites Spektrum“, sagt Roman Fehr, Leiter der Stiftungsaufsicht im Rechtsamt der Stadt Frankfurt. Das reicht von der kleinen „Ein-Mann-Gründung“ bis hin zur Hertie-Stiftung mit einem Vermögen von 940 Millionen Euro und von der Unterstützung der Stadtteilbibliothek bis hin zur jährlichen Vergabe hochdotierter Preise.

Schon ein Einzelner kann manches bewegen

Ob die Voraussetzungen für die Gründung einer Stiftung erfüllt sind, wird im Einzelfall geprüft. Ein großes Vermögen sei nicht unbedingt erforderlich, meint Fehr und verweist auf die Alfred-Gutermuth-Stiftung, die die Forschung auf dem Gebiet Blutkrebs unterstützt. Der Gründer brachte sich nach einem Blutkrebsfall in der Familie selbst PC-Kenntnisse bei, rührt eigenhändig die Werbetrommel, wirbt aktiv um Bußgeldzuschüsse und erreicht damit, dass nur zwei Prozent der Gelder in die Verwaltung fließen. „So kann der Mann wirklich etwas bewegen, obwohl seine Stiftung eher zu den kleineren gehört“, sagt Fehr.

Ihm bleibt zu wünschen, dass eine Nachfolgeregelung in Sicht ist – denn auch dieses Thema beschäftigt aktuell vor allem kleine Stiftungen. „Die Personalsituation ist ein Problem, es fehlt der Nachwuchs“, weiß Harald Erdmann von der Stiftungsaufsicht. Unterstützung bietet der städtische Bereich Bürgerengagement, Ehrenamt und Stiftungen: „Wir schaffen hier eine Plattform für Angebot und Nachfrage“, sagt deren Leiter Gerhard van der Beck. Dazu gehört auch eine Liste mit möglichen Personen, die eine Stiftung leiten könnten.

Roland Kaehlbrandt verweist darauf, dass der Bundesverband Deutscher Stiftungen in den vergangenen 15 Jahren einen ausgeprägten Weiterbildungszweig für den Nachwuchs etabliert habe. „Die Aktivierung der Bürgergesellschaft in einer Zeit, die enorm viel Ablenkung bietet“, hält auch er für eine zentrale Aufgabe der Stiftungen. Denn „wenn wie einst die besten Bürger mit zum Aufbau wirken“, wie es im Goldenen Buch der Stiftungen heißt, kann die Frankfurter Stadtgesellschaft in all ihrer Vielfalt weiter davon profitieren.

Weitere Informationen:

Die Stiftungsaufsicht der Stadt Frankfurt am Main berät Interessierte kostenlos zum Thema Stiftungsgründungen. Sie ist erreichbar unter Telefon 069/212-33842 und E-Mail stiftungsaufsicht.amt30@stadt-frankfurt.de.
Der Bereich Bürgerengagement, Ehrenamt und Stiftung informiert unter anderem über Angebot und Nachfrage hinsichtlich des ehrenamtlichen Engagements in Stiftungen: Telefon 069 212-35500, E-Mail: infobuergerengagement@stadt-frankfurt.de