Abgewiesene Kita-Klage

Professor Hellermann kommentiert Urteil

Die Klage vor dem Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz wurde abgewiesen (Symbolbild)

Neustadt an der Weinstraße – Wie bereits berichtet hat der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz mit Beschluss vom 30. Oktober 2015 (Aktenzeichen: VGH N 65/14) einen Normenkontrollantrag der Stadt Neustadt an der Weinstraße und der Verbandsgemeinde Flammersfeld, dem sich die Stadt Gerolstein und die Verbandsgemeinde Birkenfeld angeschlossen hatten, zurückgewiesen.

Im Oktober 2014 hatte der Neustadter Stadtrat mehrheitlich beschlossen, eine Klageschrift gegen das Land Rheinland-Pfalz wegen der Konnexitätsverletzung im Zuge des U-3-Kinderbetreuungsausbaus einzureichen. Der Text war in Abstimmung mit interessierten Kommunen und den Spitzenverbänden (Städtetag, Landkreistag sowie Gemeinde- und Stadtbund) erstellt worden. In das Klagevorbereitungsverfahren war zudem Professor Dr. Johannes Hellermann involviert.

Nun hat sich Professor Hellermann mittels eines kommentierenden Textes zu dem Urteil geäußert. Darin schreibt er:

Die antragstellenden Kommunen hatten unter Berufung auf das Konnexitätsprinzip des Art. 49 Abs. 5 Landesverfassung geltend gemacht, das Land müsse den Kommunen einen Ausgleich für die Mehrkosten gewähren, die ihnen in Folge des Kinderförderungsgesetzes des Bundes vom 10. Dezember 2008 entstehen. 

Dieses Bundesgesetz sieht seit dem 1. August 2013 für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr einen Anspruch auf Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege vor. Der dadurch erforderlich gewordene Ausbau der Kindertagesstätten obliegt nach den einschlägigen landesgesetzlichen Regelungen den Landkreisen und kreisfreien Städten als örtlichen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe, die für ein bedarfsgerechtes Angebot verantwortlich sind, und den Gemeinden, die in eigener Trägerschaft Kindergärten errichten und unterhalten müssen, wenn sich kein anderer Träger findet. 

Dadurch sind den so verpflichteten Kommunen zusätzliche Investitions-, außerdem auch Personal- und Sachkosten in erheblichem Umfang entstanden. Allein die kommunalen Investitionskosten summieren sich für die Jahre 2008 bis 2014 auf rund 700 Millionen Euro. Insoweit hatten das Land und die kommunalen Spitzenverbände sich im Jahr 2008 zunächst in einem Eckpunktepapier – vorläufig, unter dem ausdrücklichen Vorbehalt einer Revision für den Fall von Nachsteuerungsbedarf – über Investitionszuschüsse des Landes verständigt. 

Dies war Grundlage einer entsprechenden Verwaltungsvorschrift aus dem Jahr 2008 beziehungsweise später aus dem Jahr 2012. Die dort vorgesehenen Investitionszuschüsse, die weitgehend aus vom Bund zur Verfügung gestellten Mitteln bestritten worden sind und zu denen das Land selbst nur gut 30 Millionen Euro beigesteuert hat, haben sich auf kaum 150 Millionen Euro belaufen und sind damit deutlich unzureichend geblieben.

Der Verfassungsgerichtshof hat nun zum einen angenommen, dass der Antrag verspätet gestellt worden sei. Die Kommunen hätten ihn binnen sechs Monaten nach Bekanntwerden der Unterlassung eines für geboten gehaltenen Mehrbelastungsausgleichs stellen müssen; sie könnten dem nicht entgegenhalten, dass das Land die Erfüllung dieses Anspruchs nie, jedenfalls bis zum Abbruch der sogenannten Revisionsgespräche im Frühjahr 2015 nicht eindeutig verweigert hätte und die sechsmonatige Antragsfrist deshalb nicht in Gang gesetzt worden wäre. 

Das Gericht beruft sich vor allem darauf, dass nach Art. 49 Abs. 5 Satz 1 Landesverfassung bei einer landesrechtlichen Aufgabenübertragung auf die Kommunen „gleichzeitig“ Bestimmungen über die Deckung der Kosten zu treffen sind. Dieses Gleichzeitigkeitsgebot, das doch zunächst dem Schutz der Kommunen dienen soll, wird hier vor allem in seiner Warnfunktion für den Gesetzgeber im Zeitpunkt der Aufgabenübertragung gesehen und so gegen die Kommunen gewendet. Damit, dass sie sich 2008 mit dem Land auf eine vorläufige Zuschussgewährung und eine künftige, auch einen echten Mehrbelastungsausgleich noch offen haltende Revision verständigt haben und in dieser Situation das Land schwerlich verklagen konnten, jedenfalls aber nicht verklagen mussten, haben die Kommunen beim Gericht kein Gehör gefunden.

Zum anderen hat das Gericht angenommen, dass es an einem konnexitätsrelevanten Sachverhalt im Sinne von Art. 49 Abs. 5 Landesverfassung fehle. Hierfür müsse die Aufgabenübertragung dem Land ursächlich zuzurechnen sein. Dies sei bei einer Aufgabenveränderung durch Bundesrecht nicht der Fall, wenn sich der Beitrag des Landesgesetzgebers auf eine mehrere Jahre zuvor erlassene allgemeine Zuständigkeitszuweisung an die Kommunen beschränke; ein bloßes Unterlassen des Landes etwa in Form des „Unterlassens der Rückholung“ einer Aufgabe reiche als konnexitätsrelevanter Verursachungsbeitrag nicht aus. 

Der Verfassungsgerichtshof hat damit auf die Frage nach der Anwendung des landesverfassungsrechtlichen Konnexitätsprinzips auf bundesgesetzliche Erweiterungen landesgesetzlich übertragener kommunaler Aufgaben eine sehr knappe und – wie die Verneinung schon der Antragsbefugnis zeigt – harte Antwort gegeben. Das ist aus kommunaler Perspektive enttäuschend, weil diese Frage in Rechtsprechung und Literatur durchaus nicht einheitlich und abschließend geklärt ist. Der Verfassungsgerichtshof legt sich hier sehr schnell auf eine Interpretation des Art. 49 Abs. 5 Landesverfassung fest, die die Schutzwirkung dieser Bestimmung wesentlich beschränkt und für potentiell wichtige, zudem besonders kostenintensive Aufgabenfelder gerade im sozialen Sektor ausschließt. 

Dabei bleibt der – auch entstehungsgeschichtlich bestehende – Zusammenhang mit dem sogenannten Durchgriffsverbot, das in der Föderalismusreform I in das Grundgesetz eingefügt worden ist, unbeachtet. Dieses Durchgriffsverbot untersagt dem Bund eine unmittelbare Aufgabenübertragung auf die Kommunen, die deshalb jeweils erst der Landesgesetzgeber vornehmen muss. Auf diese landesgesetzliche Aufgabenübertragung aber sollte – so die damalige Erwartung – das Konnexitätsprinzip Anwendung finden und so die finanziellen Interessen der Kommunen wahren. Von dieser dem landesverfassungsrechtlichen Konnexitätsprinzip zugedachten Schutzfunktion bleibt nach dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs für das Land Rheinland-Pfalz nicht viel übrig.

Aus kommunaler Sicht tröstlich ist danach allein, dass der Verfassungsgerichtshof das Land nicht insgesamt aus der Finanzierungsverantwortung entlässt. Vielmehr betont er ausdrücklich, dass im Rahmen des Art. 49 Abs. 6 Landesverfassung, der den allgemeinen Finanzausstattungsanspruch gewährt, auch dem Umstand Rechnung zu tragen sei, dass das Land verpflichtet sei, die finanziellen Belange seiner Kommunen auf Bundesebene als eigene zu wahren und durchzusetzen; denn bei bundesrechtlich zugewiesenen Aufgaben könne das Land vor allem, anders als die Kommunen, von seinen politischen Mitwirkungsrechten im Bund Gebrauch machen sowie landesrechtliche Aufgabenzuweisungen kraft eigener Gestaltungsmacht aufheben oder kostendeckend abändern.
Gerade dieses letzte Argument hätte freilich für eine Anwendung des Konnexitätsprinzips nach Art. 49 Abs. 5 Landesverfassung gesprochen.