Frankfurt: Markiert sein oder markiert werden? Podiumsgespräch zur Fotoserie „Marcados“ von Claudia Andujar im MMK

Frankfurt am Main – Markiert sein oder markiert werden? Diese Frage stellt sich beim Betrachten der Serie „Marcados“, die im Zentrum der aktuellen Ausstellung „Claudia Andujar. Morgen darf nicht gestern sein“ im MMK Museum für Moderne Kunst steht und der am Dienstag, 16. Mai 2017 um 19 Uhr im MMK 1 ein Podiumsgespräch gewidmet ist. Der Literaturwissenschaftler Bernd Stiegler und der Philosoph Christoph Menke unterhalten sich über die Funktion der Bilder und die Tradition der ethnografischen Fotografie. Moderiert wird das Podiumsgespräch von der Direktorin des Jüdischen Museum Frankfurt Mirjam Wenzel‎.

Die Schweizer Fotografin Claudia Andujar entkam 1944 dem Holocaust, dem ihre jüdische Familie väterlicherseits zum Opfer fiel und emigrierte in den 1950er-Jahren nach Brasilien. Dort engagiert sie sich seit den 1970er-Jahren für die Rechte und das Überleben der Yanomami im Amazonasgebiet. Anfang der 1980er-Jahre startete eine von Andujar gegründete Kommission eine Impfkampagne, für die Andujar Porträtaufnahmen der Yanomami in verschiedenen Dörfern im Amazonasgebiet machte. Da die Yanomami traditionell keine Namen verwenden – sie sprechen sich mittels Familienrelationen an –, wurden ihnen zur Identifizierung für den Impfausweis Nummern um den Hals gehängt.
Den Titel „Marcados“ erhielten die Fotografien erst über 20 Jahre später, als sie 2006 erstmals auf der Biennale von São Paulo gezeigt wurden. Die Bilder von mit Nummern markierten Personen wecken historische Erinnerungen, die aufs engste mit Andujars Familienschicksal verknüpft sind, da ein großer Teil ihrer Verwandtschaft in Konzentrationslagern ermordet wurde. Claudia Andujar: „Das waren für mich die für den Tod Markierten. Was ich versucht habe mit den Yanomami zu machen, war, sie für das Leben, für das Überleben zu markieren.“
Andujars Werk findet seither große Beachtung im südamerikanischen Kontext. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund des andauernden Einfalls von Goldminenarbeitern in das Gebiet der Yanomami, der anhaltenden Proteste in Brasilien und der kürzlich verkündeten Klima-Ziele des Landes zeichnet sich Andujars Werk bis heute durch eine hohe Aktualität und Brisanz aus. Im Titel der Ausstellung „Morgen darf nicht gestern sein“ spiegelt sich angesichts wiederkehrender politischer Ereignisse und gesellschaftlicher Entwicklungen in Brasilien die Botschaft der Künstlerin an die Gegenwart wider.

Das Podiumsgespräch mit Bernd Stiegler und Christoph Menke wird die fotografische Serie „Marcados“ sowohl in ästhetischer wie auch historischer Hinsicht kontextualisieren und die ihr innewohnende Ambivalenz thematisieren.
Bernd Stiegler ist Professor für Neuere Deutsche Literatur mit Schwerpunkt Literatur des 20. Jahrhunderts im medialen Kontext an der Universität Konstanz. Seine Forschungsinteressen reichen von der Theorie und Geschichte der Medien, und hier insbesondere der Fotografie, bis zur deutschen und französischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts. Stiegler wurde in Freiburg promoviert und habilitierte sich in Mannheim. Er arbeitete mehrere Jahre als Programmleiter Wissenschaft im Suhrkamp Verlag. Forschungsaufenthalte und Gastprofessuren führten ihn unter anderem an das Max-Weber-Kolleg in Erfurt, an die Brown University in Providence/Rhode Island und an die Ecole Normale Supérieure de Lyon. Stiegler erhielt den „Blauen Karfunkel“ der Deutschen Sherlock Holmes Gesellschaft für sein Buch „Spuren, Elfen und andere Erscheinungen. Conan Doyle und die Photographie“ (2014). Jüngst erschienen ist „Der montierte Mensch. Eine Figur der Moderne“ (2016).

Christoph Menke ist Professor für Praktische Philosophie mit Schwerpunkt Politische Philosophie und Rechtsphilosophie im Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“ und im Institut für Philosophie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Seine Arbeitsgebiete erstrecken sich ebenso auf Theorien der Subjektivität, Ethik und Ästhetik. Bei der Ästhetik gilt sein Hauptaugenmerk der Ästhetik der Moderne sowie der Tragödie und dem Theater. Nach seiner Promotion in Konstanz und seiner Habilitation an der FU Berlin war er unter anderem Associate Professor an der New School for Social Research, New York, und Professor für Philosophie, Schwerpunkt Ethik und Ästhetik an der Universität Potsdam. Im Studienjahr 2015/2016 forschte er als Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin. Zu seinen jüngsten Publikationen zählen „Die Kraft der Kunst“ (2013) und „Kritik der Rechte“ (2015), eine vielbeachtete Analyse des heutigen Rechtsverständnisses.
Die Moderation des Podiumsgespräches übernimmt die Literaturwissenschaftlerin und Direktorin des Jüdischen Museums, Dr. Mirjam Wenzel.

Die Veranstaltung ist eine Kooperation des Jüdischen Museum Frankfurt, des Exzellenzclusters „Normative Orders“ der Goethe-Universität und des MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt.

Der Eintritt zur Veranstaltung ist frei.
Die Ausstellung „Claudia Andujar. Morgen darf nicht gestern sein“ ist bereits von 18 bis 19 Uhr zugänglich. Um 18 Uhr findet zudem eine kostenlose öffentliche Führung durch die Ausstellung statt.