Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung

Antrag erfolglos

Der Antrag auf einstweilige Anordnung gegen die Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung blieb erfolglos

Karlsruhe – Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen den seit 10. Dezember 2015 gültigen § 217 des Strafgesetzbuches (StGB) abgelehnt.

Der Beschluss beruht auf einer Folgenabwägung: Die Beschwerdeführer werden durch die Ablehnung des Antrags zwar – jedenfalls bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache – daran gehindert, die von ihnen grundsätzlich gewünschte Form einer begleiteten Selbsttötung in Anspruch zu nehmen. Im Fall des Erlasses der einstweiligen Anordnung wäre jedoch zu besorgen, dass sich Personen, die in weit geringerem Maße als die Beschwerdeführer zu einer selbstbestimmten und reflektierten Entscheidung über das eigene Sterben in der Lage sind, zu einem Suizid verleiten lassen könnten. Insgesamt wögen die Nachteile bei Außervollzugsetzung der Vorschrift daher schwerer als die nachteiligen Folgen, die den Beschwerdeführern durch deren Weitergeltung entstehen. Über die Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache wird zu einem späteren Zeitpunkt entschieden.

Sachverhalt:

Nach § 217 StGB macht sich strafbar, wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt. Die Tat wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Die vier Beschwerdeführer sind Mitglieder des Vereins Sterbehilfe Deutschland e.V., der ihnen auf ihren Wunsch hin und nach Maßgabe seiner ethischen Grundsätze die Zusage erteilt hat, sie im Falle eines eigenverantwortlichen Sterbewunsches bei einer Selbsttötung zu unterstützen. Im Hinblick auf den neuen § 217 StGB hat der Verein jedoch erklärt, keine Suizidbegleitungen mehr durchzuführen.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sind zulässig, aber unbegründet.

1. Nach § 32 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Hierfür nimmt das Bundesverfassungsgericht eine Folgenabwägung vor. Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache haben außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde wäre von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Wenn die Außervollzugsetzung eines Gesetzes begehrt wird, ist ein besonders strenger Maßstab anzulegen, da der Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen ein Gesetz in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers eingreift.

2. Die Verfassungsbeschwerde ist weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Derzeit ist jedoch in Anbetracht des besonders strengen Prüfungsmaßstabs nicht feststellbar, dass die Beschwerdeführer bei Fortgeltung der angegriffenen Strafvorschrift bis zur Entscheidung in der Hauptsache so gravierende Nachteile erleiden würden, dass es zum jetzigen Zeitpunkt unabdingbar wäre, das angegriffene Gesetz außer Vollzug zu setzen.

a) Sofern § 217 StGB nicht außer Vollzug gesetzt wird, wären die Beschwerdeführer jedenfalls bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache gehindert, die von ihnen grundsätzlich gewünschte Form einer begleiteten Selbsttötung in Anspruch zu nehmen. Sie setzen sich selbst zwar keinem  Strafbarkeitsrisiko aus. Jedoch verhindert das strafbewehrte Verbot einer geschäftsmäßigen Sterbehilfe, dass der Verein Sterbehilfe Deutschland e.V. die den Beschwerdeführern zugesagte Unterstützung leistet. Dabei ist jedoch zum einen zu berücksichtigen, dass die Beschwerdeführer ihren grundsätzlichen Wunsch nach einem begleiteten Suizid bereits in einem Zeitraum von Mai 2013 bis Januar 2014 geäußert haben, ohne dass sich seitdem ihr Wunsch aktualisiert hätte. Zum anderen könnte die beabsichtigte Form der begleiteten Selbsttötung im Falle eines Erfolgs der Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache noch realisiert werden; der Eintritt irreversibler Folgen ist somit nicht zu befürchten. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die von den Beschwerdeführern gewünschte Selbstbestimmung über ihr eigenes Sterben durch eine Fortgeltung des § 217 StGB nicht vollständig verhindert, sondern lediglich hinsichtlich des als Unterstützer in Betracht kommenden Personenkreises beschränkt wird. Selbst die Inanspruchnahme professioneller ärztlicher Unterstützung wäre für die Beschwerdeführer nicht gänzlich ausgeschlossen, sofern der betreffende Helfer nicht das Tatbestandsmerkmal der Geschäftsmäßigkeit erfüllt.

b) Für den Fall, dass die einstweilige Anordnung ergeht, die Verfassungsbeschwerde aber später erfolglos bliebe, sind nicht nur die Auswirkungen auf die Beschwerdeführer, sondern auf alle von dem Gesetz Betroffenen zu berücksichtigen. Der Gesetzgeber sieht die Gefahr, dass der „fatale Anschein einer Normalität“ und schlimmstenfalls sogar der sozialen Gebotenheit der Selbsttötung entstehen und dadurch auch Menschen zur Selbsttötung verleitet werden könnten, die dies ohne ein Angebot eines assistierten Suizids aus eigenem Antrieb nicht täten. Weder der Vortrag der Beschwerdeführer noch sonstige Anhaltspunkte lassen darauf schließen, dass die tatsächlichen Feststellungen, von denen der Gesetzgeber ausgegangen ist, offensichtlich fehlerhaft sein könnten und die von diesem prognostizierte weitere Entwicklung einer rationalen Grundlage entbehren könnte. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass bei Erlass der einstweiligen Anordnung der durch § 217 StGB bezweckte Schutz menschlichen Lebens als eines grundrechtlich durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geschützten Rechtsguts von höchstem Rang und der Schutz des autonomen Umgangs des Einzelnen mit diesem Rechtsgut vor einer jedenfalls abstrakten Gefährdung entfallen würde. Die Anzahl der Personen, bei denen sich diese abstrakte Gefährdung vom Zeitpunkt des Erlasses der einstweiligen Anordnung bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache realisieren könnte, ist dabei kaum einzuschätzen.

Beschluss vom 21. Dezember 2015
2 BvR 2347/15