Ludwigshafen: Interview mit Philipp Grimm

Sagenhafte 1826 Treffer hat Philipp Grimm bislang für die TSG Ludwigshafen-Friesenheim erzielt. Bis Rundenende sollen möglichst viele noch hinzukommen. (Foto: Harry Reis)
Sagenhafte 1826 Treffer hat Philipp Grimm bislang für die TSG Ludwigshafen-Friesenheim erzielt. Bis Rundenende sollen möglichst viele noch hinzukommen. (Foto: Harry Reis)

Ludwigshafen – 2007 wechselte Philipp Grimm von der TSG Groß-Bieberau zu den Eulen, mit denen er zweimal in die erste Bundesliga aufgestiegen ist. Der Torjäger ist seit 2013 offiziell Kapitän des Handball-Zweitligisten TSG Ludwigshafen-Friesenheim. Das Amt übernahm er von Ben Matschke, dem heutigen Cheftrainer, mit dem Philipp Grimm fünf Jahre zusammenspielte, ehe großes Verletzungspech den heutigen Coach dazu zwang, seine Karriere allzu früh zu beenden.

Vor drei Jahren begann für den Linksaußen mit dem Eintritt ins Berufsleben ein neuer Abschnitt. Der bald 32-jährige Ingenieur, der nach dieser Spielzeit seine Karriere beenden wird, spricht über die Handball-Weltmeisterschaft in Frankreich, äußert sich zur einteiligen zweiten Handball-Bundesliga sowie zu seiner Doppelbelastung und beschreibt die Arbeit von Trainer Ben Matschke.

Deutschlands Handballer sind amtierender Europameister, sie gewannen in Rio die Bronzemedaille, doch von der Weltmeisterschaft in Frankreich, die am Mittwoch begann, gibt es keine Live-TV-Bilder zu sehen, die Mattscheiben bleiben dunkel. Was bedeutet das für den Handball?

Philipp Grimm: Das ist beschämend, eine Wertschätzung ist das nicht. Dabei hat die Mannschaft von Dagur Sigurdsson seit der Europameisterschaft im letzten Jahr überragend Werbung gemacht für diese Sportart, die alles hat: Emotionen, ein ständiges Hin und Her, spektakuläre Paraden und Würfe, viele Tore, phantastische Stimmung. Dass keine Live-Bilder zu sehen sind, ist ein Rückschritt.

Warum bleibt Handball in der Sportberichterstattung eher ein Stiefkind?

Grimm: Weil König Fußball noch viel krasser über allen Sportarten steht als je zuvor. Der Fußball ist einfach zu dominant, das spiegelt sich in nahezu allen Medien wieder. Und so breitet sich Fußball immer weiter aus und lässt anderen Sportarten nur noch wenig Raum. Wenn dann selbst von Großereignissen wie einer Weltmeisterschaft nichts im Fernsehen zu ist, stellt sich die Frage, wie so etwas passieren konnte. Ein Ruhmesblatt ist das nicht und für den deutschen Handball, der sich in jüngster Zeit positiv entwickelt hat. Ich halte den Handball zum Zuschauen für viel interessanter als Fußball, weil es überhaupt keine Langeweile gibt. Als Kind habe ich mir im Fernsehen alle Handballspiele angesehen, das ginge in dem Maße heute gar nicht mehr, weil es nur noch wenige Übertragungen gibt.

Die einteilige zweite Handball-Bundesliga gibt es seit Beginn der Saison 2011/12. Wie fällt Deine Bilanz aus?

Grimm: Der Aufwand im Vergleich zur zweiteiligen zweiten Liga ist höher, der Umfang mit jetzt 20 Mannschaften und vier Spielen mehr größer geworden. Die Anforderungen an die Spieler sind deutlich gestiegen, die jetzt mehr Zeit in ihren Sport zu investieren haben. So gehen bei einem Spiel wie beispielsweise in Rostock zweieinhalb Tage drauf. Die Entwicklung zu mehr Profispielern im Kader hat sich nur bei wenigen Vereinen erfüllt, weil nicht mehr Geld da ist, um sich bessere Spieler zu holen. Früher gab es für uns zum Beispiel Derbys gegen Oftersheim/Schwetzingen, jetzt gilt eine Partie gegen Saarlouis als Derby, da gehen Zuschauer weg. Wie wichtig Derbys sind, zeigt die Zuschauerentwicklung in Leutershausen. In der 3. Liga hatte die SGL einen deutlich höheren Zuschauerzuspruch als eine Liga höher, das ist schon bitter. Eine weitere Entwicklung ist die, dass die Zahl ausländischer Spieler ab- und die Zahl deutscher Spieler zugenommen hat.

Welche Gründe siehst Du für die Ausgeglichenheit in der 2. Liga?

Grimm: Seit der Einführung der einteiligen 2. Liga hat ein Ausleseprozess stattgefunden. Aus der 3. Liga steigen nur Mannschaften auf, die es sich auch finanziell leisten können.

Was hat diese enge Leistungsdichte für die Mannschaft zur Folge?

Grimm: Sie bedeutet zunächst für den Verein, mehr Wert auf Quantität zu legen. Das heißt, er muss sich, was den Spielerkader betrifft, breit aufgestellt sein, eine gute erste  Sechs reicht nicht mehr. Ein kleinerer Kader kann an einem Doppelspieltag schon ein Nachteil sein. Kein Gegner ist zu unterschätzen, du musst immer alles geben, um die Chance auf die beiden Punkte zu haben. So nebenbei gewinnst du kein Spiel, das erfordert maximalen Einsatz und ist absolut kräftezehrend. Das ist auch an den Ergebnissen zu sehen, viele Spiele gehen knapp aus.

Wann wäre für Dich die laufende Saison eine erfolgreiche?

Grimm: Ich mache das nicht an einem Tabellenrang fest. Hauptsächlich wäre das daran zu messen, dass wir aus Spielen wie in Leutershausen oder zu Hause gegen Bietigheim gelernt haben. In diesen Spielen haben wir einfach zu viele Fehler gemacht, wollten einige die Partie selbst entscheiden, doch das geht nur über eine mannschaftliche Geschlossenheit. In den letzten Spielen vor der Winterpause haben wir das deutlich besser gemacht, da haben wir manches Spiel in der Crunchtime gewonnen.

Wie müsste die TSG Ludwigshafen-Friesenheim aufgestellt sein, um nicht nur aufzusteigen, sondern auch dauerhaft in der 1. Liga bleiben zu können?

Grimm: Du musst professionelle Rahmenbedingungen schaffen, einen Großsponsor im Boot haben und du brauchst eine große Halle. Wichtig ist, dass du Ideen hast und in der Stadt ankommst. Erlangen, Bittenfeld und Delitzsch haben das hinbekommen. Bei der TSG geht es nur in kleinen Schritten vorwärts, das ist meine Erfahrung in den fast zehn Jahren, die ich hier bin. Eine neue Halle wäre klasse und würde die Chance bieten, Handball nicht nur als Sport zu vermarkten, sondern dem Auftritt auch einen Eventcharakter zu verpassen. Klar ist, dass du auch Zuschauer außerhalb Ludwigshafens akquirieren musst.

Du bist seit 2013 Kapitän der Mannschaft. Wie füllst Du diese Funktion mit Leben? Wie sieht das in der Praxis aus?

Grimm: Ich kümmere mich zu Saisonbeginn um die Neuen, denen ich den Einstieg leicht machen will. Sie sollen Spaß haben und es gilt, für alle eine gute Atmosphäre zu schaffen. Seit ich hier bin, ging kein Spieler von uns weg, dem es hier nicht gefallen und der sich wohl gefühlt hätte. Alle sagten: „Wie geil ist denn diese Mannschaft“. Der Kontakt zum Trainertrio ist eng, der Austausch regelmäßig, offen und ehrlich, wobei Ben eigentlich noch einer von uns ist.

Die Integration der Neuen ist wichtig und ein Prozess. Wie zahlen die betroffenen Spieler das zurück?

Grimm: Durch eine gute Integration schaffst du eine homogene Mannschaft und jeder ist positiv  gestimmt. Die Neuen zahlen das auch durch gute Leistungen zurück, und der eine oder andere wächst in eine erste Führungsrolle.

Welche Vorzüge hat die Arbeit von Ben Matschke?

Grimm: Ben hat eine sachliche Art, die bei den Spielern sehr gut ankommt. Es ist unheimlich wichtig, dass viel miteinander geredet wird. Gerade dann, wenn du viele junge Spieler hast  und auch von ihren Leistungen abhängst.

Wie hat Ben Matschke auf kleine Niederlagenserien reagiert?

Grimm: Das ist extrem abhängig von der Art und Weise der Niederlage. Er sagt bei Niederlagen immer: „Da lernen wir daraus.“ Er sieht es als elementar an, dass gekämpft wird. Seine positive Ausstrahlung legt er über die gesamten 60 Minuten nicht ab.

Trotz einer Verletzungsproblematik, die sich über die gesamte Vorbereitung und die Hinserie erstreckt hat, hat die Mannschaft im Vergleich zur Vorsaison nur zwei Punkte weniger geholt. Wie hat sie das gemacht, wie geschafft?

Grimm: Über eine imponierende Einstellung und durch eine klasse Abwehrarbeit.

Die Doppelbelastung von Beruf und Sport lässt kaum Freizeit zu und fordert eine Menge Disziplin, Motivation und Durchhaltevermögen. Welchen Eingewöhnungsprozess hattest Du hinter Dich zu bringen?

Grimm: Den beruflichen Einstieg hat mir meine Abschlussarbeit, die ich bei Daimler-Benz geschrieben habe, erleichtert. Da erfuhr ich, was es bedeutet, acht Stunden Arbeit vor dem Training gehabt zu haben. Du hast bei der Doppelbelastung zwei Sachen, für die du 100%ig da sein musst. Auf Dauer ist schwer zu leisten, denn du hast Dauerstress bis zum Beginn des Trainings. Und viele machen das ja  nicht. Von allen Bundesligahandballern arbeiten rund 5 Prozent Vollzeit, vier Prozent bekommen von ihren Arbeitgebern hinsichtlich des Handballs Freiheiten eingeräumt. Ein Prozent hat keinerlei Vorteile durch den Handball, zu dieser Gruppe gehöre ich.

Auf was freust Du Dich besonders, wenn im Sommer Deine Karriere zu Ende gegangen ist?

Grimm: Dann habe ich endlich mehr Zeit für meine Freundin Martina, die alle Entscheidungen mitgetragen hat, für mein Patenkind und für meine Familie, die ich in den letzten drei Jahren selten gesehen habe.