Die Schirn widmet sich der Leidenschaft des Katalanen fürs Großformat

Groß, größer, Miró

JOAN MIRÓ. WANDBILDER, WELTENBILDER, Joan Miró, La Ferme, 1921-22, Öl auf Leinwand, 123,8 x 141,3 x 3,3 cm, National Gallery of Art, Washington, D.C., Gift of Mary Hemingway © Successió Miró / VG Bild-Kunst, Bonn 2015

Frankfurt am Main – Joan Miró gehört zu den größten Künstlern des 20. Jahrhunderts. Seine Bildsprache ist einzigartig, er ist keiner Strömung zuzurechnen und dennoch weltweit bekannt. Die Schirn Kunsthalle zeigt jetzt einen bislang wenig diskutierten Aspekt im Werk des Katalanen, seine Vorliebe für große Formate und seine Faszination für die Wand.

„Ich träume von einem großen Atelier.“ Schon 1938 äußerte der Maler Joan Miró diesen Wunsch, nachdem er ein Jahr zuvor das fünf Meter breite Wandbild „Der Schnitter“ für den Spanischen Pavillon auf der Pariser Weltausstellung geschaffen hatte, das dort neben Picassos „Guernica“ zu sehen war. Sein Traum bestand darin, einen großen Raum für viele Leinwände zu haben. „Denn je mehr ich arbeite, desto mehr Lust habe ich zu arbeiten“, führte der Maler weiter aus. Der Atelier-Wunsch beinhaltete zudem die Idee, große Formate herzustellen, ergänzt heute sein Enkel Joan Punyet Miró, der sich um das künstlerische Erbe seines Großvaters kümmert. In dessen frühen Werken ist bereits sein Interesse an schmalen Querformaten zu erkennen, die an großformatige Friese erinnern, wie Miró sie später etwa mit dem 7,50 Meter langen Keramikrelief „Mondwand“ und der 15 Meter langen „Sonnenwand“ für den Sitz der Unesco in Paris entwarf. „Mehr als einmal schuf dieser ungemein produktive Künstler, der neue Ausdrucksmittel mit der Spielfreude und Begeisterung eines Kindes aufnahm, an Wendepunkten seines Werdegangs Monumentalwerke“, stellt Joan Punyet Miró weiter fest.

Die Wand als Vorbild

Die Vorliebe des Künstlers für große Formate und die Bedeutung der Wand als Vorbild für sein Werk beleuchtet die Ausstellung „Joan Miró. Wandbilder, Weltenbilder“, die vom 26. Februar bis zum 12. Juni in der Schirn Kunsthalle zu sehen ist und die dem Publikum neue Perspektiven bei der Betrachtung der Werke Mirós eröffnen will. „Die Schirn Kunsthalle hat es sich immer wieder zur Aufgabe gemacht, weniger beachtete Werkkomplexe oder Themenaspekte im Werk etablierter Meister der Kunstgeschichte in den Blick zu nehmen“, betont Max Hollein, der Direktor der Kunsthalle.

Liebe zum elterlichen Bauernhof

Begonnen hat für Miró alles mit der Wand, dem ältesten überlieferten Bildträger überhaupt, sagen die Experten. Weil seine erste Ausstellung in seiner Geburtsstadt Barcelona 1918 bei Publikum und Kritikern auf Unverständnis stieß, entschied er sich, die Heimat zu verlassen und ging 1922 nach Paris. Er mietete ein Atelier in der Rue Blomet, per Zufall in direkter Nachbarschaft des Surrealisten André Masson. Anders als die Künstler des Surrealismus wohnte Miró aber nicht ständig in der Metropole, sondern zog sich in die ländliche Abgeschiedenheit von Mont-roig del Camp bei Barcelona zurück, wo seine Familie seit 1911 lebte. Dort schuf er 1921/22 ein Werk, das zum Auslöser für seine spätere künstlerische Entwicklung wurde und das auch Ausgangspunkt der Schirn-Ausstellung ist: „Der Bauernhof“.

In dem Bild schildert der Maler detailgetreu den elterlichen Hof mit seinen Gebäuden. „Risse, Pflänzchen, Insekten und Grashalme sind genauestens sichtbar in der rau verputzten Wand. Diese akribische Wiedergabe verleiht dem Werk eine unwirkliche Intensität, die gewiss auch ihre Wirkung auf den späteren Inhaber des Gemäldes, Ernest Hemingway, ausübte“, betont Max Hollein. Gleichzeitig ist die Tendenz zur Abstraktion, die Verwendung geometrischer Zeichen sowie unterschiedlicher Strukturen und Materialien, die Miró Zeit seines Lebens beschäftigen sollten, darin bereits angedeutet.

Fasziniert vom Unvollkommenen

Die gemauerten Wände des Bauernhofs der Familie Miró südlich von Barcelona werden daher immer wieder als Ursprung seiner Malerei bezeichnet. Sie waren für ihn nicht nur abzubildendes Objekt, vielmehr war ihre Beschaffenheit, einschließlich der Flecken und Risse, entscheidend für den Stil seiner Malerei. Die Wand als etwas Altes, Unvollkommenes faszinierte ihn. Schon in den 1920er Jahren tropfte und spritzte er Farbe auf braune Bildgründe, um den Eindruck alter, verwitterter Mauern zu erzeugen. Etwas später nutzte er unkonventionelle Malgründe wie unbehandelte Leinwand, Jute, Masonit-Faserplatten, Sandpapier und Teer. Er versuchte in seinen Gemälden die Haptik und Textur von Wandoberflächen nachzubilden, indem er die Farben mit Sand, Gips, Stroh und Zement mischte und den Farbauftrag möglichst plastisch machte. Seinem amerikanischen Kunsthändler Pierre Matisse sagte er sogar einmal, es sei nicht schlimm, wenn sich beim Transport seiner Bilder etwas Material löse, da die Oberfläche dann stärker einer bröckelnden Wand ähnelte. „Es ist das Material, das entscheidet (…). Es ist das Material, das alles bestimmt.“

Endlich ein großes Atelier

Mitte der 1950er Jahre hatte Miró schließlich einen der Wendepunkte in seinem Werk erreicht, an dem er sich nach neuen Herausforderungen umsah. Vier Jahre lang widmete er sich der Keramik und Druckgrafik. Mit seinem alten Freund, dem Keramikmeister Josep Llorens Artigas schuf er die beiden Wandbilder für das Unesco-Hauptquartier. „Sie markieren einen neuen Höhepunkt seiner Karriere, der ihm im selben Jahr den Guggenheim International Award einbrachte und seinen Ruf als Wegbereiter neuer Kunst festigte“, stellt sein Enkel fest. Sie ermöglichten ihm zudem endlich, seinen Traum vom großen Atelier zu verwirklichen.

Joan Miró kaufte ein Haus auf der Insel Mallorca, von der seine Mutter Dolores stammte. Im Jahr 1956 konnte er seine weitläufigen Atelierräume in Cala Major endlich in Besitz nehmen. Dort entstanden seine wichtigsten Werke, dort malte er aber auch Wandbilder für die Kinderzimmer seiner Enkel. Er habe in seinem Studio eingeschlossen wie ein Mönch in seiner Zelle gearbeitet, dabei das Erreichte geprüft und auch Werke zerstört oder übermalt, berichtet sein Enkel Joan Punyet Miró, der sich erinnert, wie er als Zehnjähriger einmal das Atelier Mirós betrat und dort hunderte Bilder um ihn herum standen. „Er arbeitete mit der Energie eines 20 Jahre alten Jungen.“

Dem Gefühl entsprungen

Noch heute sind auf dem Fußboden der Atelierräume blaue Farbspritzer zu erkennen. Zwischen 1961 und 1974 entstanden dort eine Reihe von monumentalen Tryptichen, dreiteilige den klassischen Altarbildern nachempfundene Werke wie das wohl berühmteste „Blau I-III“. Miró selbst schilderte in einem Brief an den Kunsthistoriker Jean Leymarie, dass diese blauen Bildgründe einem Gefühl der Einsamkeit und Verzweiflung entsprungen seien, das ihn unablässig verfolgt habe. Die Idee zum Motiv sei ihm in Paris auf dem Heimweg in der Nord-Süd-Linie, Station Volontaires, wie ein Peitschenhieb über das Gesicht gefahren. Später, in seinem Atelier in der Rue Blomet, bannte er sie auf eine kleine Leinwand. „Ich skizzierte es hastig auf die Abendzeitung, die ich bei mir hatte. Ein paar Jahre später brachte diese kleine Leinwand, die für mich bis heute ein historischer Markstein ist, ein Tryptichon hervor, dem weitere folgten.“

Die monumentalen Bilder erlaubten dem Maler weit ausholende Gesten und eine freie Bewegung des Körpers. Für den Betrachter lassen die wandhohen Werke den Raum in den Hintergrund treten und erschaffen eine neue imaginäre Welt. Das wird umso stärker deutlich, wenn man sich vorstellt, wie Miró die Bilder in seinem Atelier an drei Wände des Raumes gestellt hatte, so dass er von ihnen fast umgeben war. Er schuf mit den Bildern eine Dreidimensionalität in der abstrakten Malerei und stellte sich damit einem der zentralen Themen in der Kunst des 20. Jahrhunderts.

Schöpferisch bis ins hohe Alter

Die Ausstellung in der Schirn Kunsthalle zeigt in Kooperation mit dem Kunsthaus Zürich rund 50 der zum Teil monumentalen Kunstwerke aus bedeutenden Museen und öffentlichen Sammlungen, etwa aus dem Solomon R. Guggenheim Museum New York, dem Museo Reina Sofía Madrid oder dem Centre Pompidou Paris. Sie machen auch deutlich, dass Miró, der mit 90 Jahren auf Mallorca starb, bis ins hohe Alter schöpferisch war. „Man muss immer wilder werden“, soll er gesagt haben. Mirós Enkel beschreibt es so: „In dem gebrechlichen alten Mann, der sich weigerte, den Pinsel aus der Hand zu legen, steckte nach wie vor ein passionierter Künstler, der der Welt und vor allem sich selbst beweisen wollte, dass er noch immer Erstaunen hervorrufen konnte, Genialität und Originalität besaß. Er war ein Draufgänger, der weiter hohe Leitern erklomm, um seine einzigartige Kunst zu schaffen.“

Sabine Borchers