Mannheim: „Städte sind solidarischer als Nationalstaaten“ – Bürgermeistergipfel im Vatikan

Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz bei seinen Ausführungen im Rahmen des Gipfeltreffens der Bürgermeister im Vatikan. (Foto: Stadt Mannheim)
Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz bei seinen Ausführungen im Rahmen des Gipfeltreffens der Bürgermeister im Vatikan. (Foto: Stadt Mannheim)

Mannheim – Auf Einladung der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften hat Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz an einem Bürgermeistergipfel zur Flüchtlingspolitik im Vatikan teilgenommen. Zur Konferenz „Refugees Are Our Brothers and Sisters“, auf Einladung von Papst Franziskus, kamen Bürgermeister aus 71 Städten, darunter zehn europäischen Hauptstädten (Berlin, Paris, Rom, Madrid, Warschau, Lissabon, Brüssel, Amsterdam, Kopenhagen, Dublin) im Vatikan zusammen.

Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz zeigte sich beeindruckt von den Leistungen auch kleiner italienischer Kommunen, während sich andere verweigern und von den klaren Stellungnahmen zum Beispiel spanischer oder polnischer Städte, die ihre Bereitschaft für eine ausgeglichenere Verteilung der Flüchtlinge in Europa im Gegensatz zu ihren nationalen Regierungen unterstrichen. „Viele Kollegen, deren Städte am Mittelmeer liegen, haben sehr persönliche Erfahrungen mit den Dramen gemacht, die sich dort abspielen“, berichtete Kurz von seinen Eindrücken.

Der OB unterstrich in seiner Rede die Bedeutung der Städte für die Lösung globaler Probleme und ihr Recht auf entsprechende Handlungsmöglichkeiten. Vor seinen Amtskollegen erläuterte er zudem, wie Mannheim Zuwanderung meistert und gleichzeitig Vielfalt und den Zusammenhalt in der Stadtgesellschaft wahrt.

Kurz verwies auf die Position der Kollegen und sagte: „Europa und seine Werte sind in Gefahr durch Nationalismus, die Bürgermeister sind erkennbar diejenigen, die zu den europäischen Werten stehen.“

Mannheim als Stadt der Vielfalt

Im Rahmen seines Vortrags stellte Dr. Kurz Mannheim als Stadt der Vielfalt und als Ankunftsstadt vor. Er erläuterte die Herausforderungen der Zuwanderung aus Osteuropa und schilderte, wie die Stadt, vor allem auch durch die Arbeit von Ehrenamtlichen, es geschafft hatte, hat den zeitweise hohen Zugang von Geflüchteten zu bewältigen. Dabei ging er auch auf die Interreligiosität in der Flüchtlingshilfe ein und darauf, wie in Mannheim Religionsgemeinschaften den interreligiösen Dialog praktizieren, zum Beispiel im Forum der Religionen oder mit der Meile der Religionen. Nicht zuletzt beschrieb der Oberbürgermeister das Mannheimer Bündnis für ein Zusammenleben in Vielfalt, den Zusammenschluss von mittlerweile 180 Institutionen, die sich gemeinsam mit konkreten Aktivitäten für die Wertschätzung von Vielfalt und gegen Diskriminierung einsetzen. „Hierbei haben sich gerade die in unserer Stadt lebenden Migrantinnen und Migranten als wichtige Brückenbauer und Kulturvermittler erwiesen“, erklärte der Oberbürgermeister. In diesem Zusammenhang forderte er, dass es gelingen müsse, die Akzeptanz für eine ethisch begründete solidarische Politik wiederherzustellen. Sonst würden Politik und Gesellschaft langfristig Schaden nehmen.

Zunächst müsse Ungleichheit glaubwürdig und ernsthaft bekämpft werden. Flüchtlingspolitik könne nicht losgelöst von Fragen der politischen und ökonomischen Weltordnung betrachtet werden. Auch aus den konkreten Migrationserfahrungen in Mannheim leitete der Oberbürgermeister sieben Forderungen und Empfehlungen ab, die auf große Resonanz stießen:

Die Hilfe für die Menschen vor Ort, insbesondere in den Anrainerstaaten der Kriegsgebiete (z.B. Türkei, Jordanien, Libanon) müsse substantiell und glaubwürdig ausgebaut werden. Städte können und sollten als echte Entwicklungsakteure anerkannt und für Projekte entsprechend (finanziell) ausgestattet werden. Er schlug die Gründung einer gesamteuropäischen Initiative vor, in deren Rahmen 500 europäische Städte ebenso vielen Städten in Nordafrika und Nahost durch konkrete EU-finanzierte Entwicklungspartnerschaften helfen, vor allem in den Bereichen Verwaltung, Daseinsvorsorge und Wirtschaftsförderung. Diese Hilfe wäre nicht nur dauerhaft und konkret, sie würde auch die Wahrnehmung in den europäischen „Hilfestädten“ verändern.

Der Zusammenhalt in unseren Gesellschaften müsse als Voraussetzung für Solidarität durch konkrete Begegnungen gefördert werden. Vor allem Begegnungen zwischen Gruppen und Schichten, die sich ansonsten meiden.

„Integration gelingt oder scheitert in den Städten“ sagte der Oberbürgermeister. Deshalb bedeute die Schaffung von Rahmenbedingungen für Integration die Schaffung von Rahmenbedingungen für die Städte. „Kommunen sind unterschiedlich von Migration betroffen, sie bedürfen einer substantiellen und gezielten Unterstützung, die ihnen zugleich genügend Freiheit lässt, die für sie passenden Lösungen zu wählen“.

Integration gelinge nur bei einem Gefühl der Zugehörigkeit. Die Erzeugung von Missachtung gegen Migranten aus Angst vor dem Populismus und durch die Populisten erschwere Integration für Jahrzehnte.

Ein Kontingentsystem anerkannter Flüchtlinge in Europa und sichere Korridore aus akuten Krisengebieten müssten etabliert werden.

Europa müsse eine transparente Chance zur legalen Einwanderung bieten, jenseits von Asyl und Flüchtlingsstatus.
Integrationsbemühungen dürften nicht an den rechtlichen Status gekoppelt werden. Die nationalen Regierungen seien oftmals nicht in der Lage, eine Rückführung durchzusetzen. Die rechtliche Konsequenz, die sie zur Anwendung brächten, sei die Ausgrenzung von den Systemen der Integration. Das sei jedoch ein indirekter Angriff auf das Funktionieren der kommunalen Gemeinschaft.

Gerade in der Flüchtlingsproblematik hätten ausschließlich nationale Egoismen dazu geführt, dass keine solidarischen Lösungen in Europa gefunden werden konnten. In diesem Zusammenhang hätten sich Städte wiederholt als Verantwortung übernehmenden Akteure präsentiert, die nach konstruktiven Problemlösungen streben. Die Europäische Union, aber auch die Mitgliedstaaten müssten das Potential der Städte nutzen und fördern, die Städte als gleichberechtigte Partner auf Augenhöhe wahrnehmen und ihnen die rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen verschaffen.

Forderung nach einer Konferenz zu den Themen Flucht und Migration

Der OB schlug vor, Kommission und Ministerrat aufzufordern, es dem Papst gleichzutun und auf die Städte für eine neue Flüchtlingspolitik zu hören. Erfolgreich war er mit seinem Vorschlag, bei der Europäischen Union für eine stärkere Einbindung der Kommunen zu werben. So wird die Stadt Brüssel im Namen von knapp 20 Städten, darunter Paris, Barcelona, Florenz, Berlin und Mannheim die Europäische Kommission und den Ministerrat auffordern, (500) Städte und Initiativen zu einer Konferenz einzuladen, um mit ihnen über die Themen Migration und Flucht zu sprechen. „Auch wenn das Treffen mit Papst Franziskus kurzfristig abgesagt wurde, waren die Konferenz und der Austausch mit Bürgermeisterkolleginnen und – kollegen sehr wertvoll. Wenn es uns gelingt, direkt mit der Europäischen Kommission oder dem Ministerrat über unsere Erfahrung und unser Wissen bei den Themen Migration und Flucht in einen Austausch zu kommen, wäre die Konferenz ein großer Erfolg“, so Dr. Kurz abschließend.