Ludwigshafen: 3. Diversity-Tag der Hochschule Ludwigshafen nimmt das Thema „Wohnungslosigkeit in der Region“ in den Blick

Ludwigshafen – Rein statistisch gibt es sie gar nicht, die Straßenkids und wohnsitzlosen Jugendlichen. Glaubt man den amtlichen Erhebungen in Ludwigshafen und Mannheim sind auch Erwachsene in nur so geringer Zahl von Wohnungs- oder Obdachlosigkeit betroffen, dass eine Ausweitung der bestehenden Einrichtungen und Programme auf den ersten Blick nicht als nötig erscheint. Umgekehrt hat sich nach einer Schätzung der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe aus dem Jahr 2014 die Zahl der wohnungslosen Menschen in Deutschland innerhalb von nur zwei Jahren um rund 18 Prozent auf 335.000 Betroffene erhöht, mit weiter steigender Tendenz.

Ein anderes Bild der Situation erleben auch diejenigen, die in ihrer Arbeit täglich mit wohnungslosen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen zu tun haben. So berichtet beispielsweise Klaus Wagner vom Sozialdienst des Caritas-Förderzentrums St. Martin für wohnungslose Männer in Ludwigshafen, dass aus seiner nunmehr 25-jährigen Berufserfahrung heraus der Bedarf an Unterbringungsplätzen und Angeboten derzeit nicht ausreiche für die gestiegene Nachfrage. „Vor 30 oder 40 Jahren war Wohnungslosigkeit vor allem ein Problem von Männern in der Lebensmitte. Nun sind immer mehr jüngere Menschen, Menschen über 60 und mit derzeit rund 28 Prozent auch immer mehr Frauen von Wohnungslosigkeit betroffen“, weiß Wagner. Das Zusammenleben von jungen und alten Männern auf dem begrenzten Raum des Not- und des Langzeitübernachtungsbereichs schafft vor dem Hintergrund der oft dramatischen Lebenssituationen der Bewohner zusätzliche Konflikte. „Dringend nötig ist auch ein Angebot für Frauen“, betont Wagner, der im Förderzentrum St. Martin nur Betten für Männer über 18 Jahren anbieten kann. Ein erster Schritt nach jahrelangem Ringen ist die Einrichtung einer
dezentralen Einheit für wohnungslose Frauen, die fünf Plätze verteilt auf drei Wohnungen bereithalten soll. „Das Projekt ist aber erst einmal nur auf zwei Jahre bewilligt und muss wissenschaftlich begleitet werden“, so Wagner.

Dass das Problem der Wohnungslosigkeit in der Region bei weitem nicht so marginal ist, wie es die Statistiken glauben lassen, haben auch Ellen Herzhauser und Chris Beck, Studierende des Masterstudiengangs Soziale Arbeit am Fachbereich Sozial- und Gesundheitswesen, bei den Recherchen zu ihrem von Prof. Dr. Andreas Rein und Prof. Dr. Ellen Bareis betreuten Forschungsprojekt „Die Situation wohnungsloser junger Erwachsener in Ludwigshafen“ erfahren. In Gesprächen mit Betroffenen und Experten der Sozialen Arbeit hat sich ihnen gemeinsam mit ihren beiden Kommilitonen Lena Müller und Viola Schiestl ein recht differenziertes Bild der Szene in Ludwigshafen eröffnet. „Wohnungslose Jugendliche und junge Erwachsene werden durch das sogenannte Aktivierungsparadigma des Sozialgesetzbuchs SGB II noch stärker reglementiert und sanktioniert als wohnungslose Erwachsene“, erklärt Ellen Herzhauser. „Im SGB II, das Regelungen für erwerbsfähige Leistungsberechtigte, „Hartz IV“, enthält, sind für diesen Personenkreis spezielle Vorschriften bei der Verletzung von Pflichten vorgesehen, die in erster Linie einen erzieherischen Charakter haben sollen. So können bei Regelverstößen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen die Leistungen um 100 Prozent gekürzt werden, so dass diese dann auch keine Gelder für Unterkunft und Heizung mehr bekommen“, ergänzt Chris Beck. Dadurch verschärfe sich die Situation der Betroffenen weiter. Die Interviews hätten außerdem gezeigt, dass die Versorgungsstruktur in Ludwigshafen verbesserungsbedürftig sei, vor allem für wohnungslose junge Frauen.

Wohnungslosen Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen widmen sich auf der anderen Rheinseite auch das Projekt Freezone in Mannheim, das Markus Unterländer im Rahmen des Diversity-Tages vorstellten. Die niederschwellige, auf Freiwilligkeit und Flexibilität setzende Einrichtung bietet den Jugendlichen seit 1997 ein Tagesangebot (Freezone), seit 2011 ein Übernachtungsangebot (Streetnight) und nun auch mit der Mannheimer Straßenschule die Möglichkeit eines Schulabschlusses. „Bildung ist das A und O, der Schlüssel zur Integration“, erklärt Unterländer, „Die Jugendlichen können bei uns freiwillig ihren Hauptschul- oder Realschulabschluss nachmachen. Sie haben montags bis freitags abends jeweils drei Stunden Unterricht. Auf 10 Plätze kommen 5 bis 7 Lehrkräfte, meist Ehrenamtliche, ehemalige Lehrer oder Studierende.“ Einer dieser ehrenamtlichen Lehrer ist David Schenkenberg. Der Student der Sozialen Arbeit an der Hochschule Ludwigshafen unterrichtet in der Straßenschule Mathe. „Das Tempo bestimmen bei uns die Schüler. Durch die vielen Lehrkräfte können wir fast eine 1:1-Betreung leisten und es ist erstaunlich, wie schnell die Jugendlichen Fortschritte machen und wie gut sie sind!“ Meist innerhalb eines Jahres legen sie an der Werkrealschule oder an der Realschule ihre Prüfung ab. Und der Erfolg kann sich sehen lassen: „Von bislang 37 Schülern haben 35 ihren Abschluss erfolgreich gemeistert“, freut sich Markus Unterländer stolz. Nun soll Freezone auch in Ludwigshafen Fuß fassen: Der Verein Herzenssache e.V., eine Kinderhilfsaktion von SWR, SR und Sparda-Bank, der bereits in Mannheim den Ausbau des Programms finanziell unterstützte, hat als Anschubfinanzierung bereits 250.000 Euro für das „Zwillingsprojekt“ in Ludwigshafen zugesagt. Auch eine passende Immobilie in Ludwigshafen-Oggersheim wäre gefunden. „Noch scheitert die Umsetzung allerdings an der Baugenehmigung für die nötigen Umbaumaßnahmen. Aber wir geben noch nicht auf“, zeigt sich Unterländer kämpferisch. Viel Zeit für die gute Sache bleibt allerdings nicht mehr, denn am 3. Februar 2017 verfällt das von Herzenssache bereitgestellte Kapital, wenn es bis dahin nicht abgerufen wird.

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