Karlsruhe: Frei Otto. Denken in Modellen

Ausstellung zum Oeuvre des Architekten

Nachtansicht des Tanzbrunnens für die Bundesgartenschau 1957 in Köln (Foto: saai | Südwestdeutsches Archiv für Architektur und Ingenieurbau, Karlsruher Institut für Technologie, Werkarchiv Frei Otto)
Nachtansicht des Tanzbrunnens für die Bundesgartenschau 1957 in Köln (Foto: saai | Südwestdeutsches Archiv für Architektur und Ingenieurbau, Karlsruher Institut für Technologie, Werkarchiv Frei Otto)

Karlsruhe. Frei Otto (1925-2015) zählt zu den international renommiertesten und innovativsten deutschen Architekten des 20. Jahrhunderts und ist eine zentrale Figur für die Baukultur des Landes Baden-Württemberg. 2015 bekam er für sein Werk den Nobelpreis der Architektur, den sogenannten Pritzker-Preis verliehen – die weltweit höchste Auszeichnung für Architektur.

Die bisher größte Ausstellung zum Oeuvre von Frei Otto ist ein gemeinsames Projekt des Südwestdeutschen Archivs für Architektur und Ingenieurbau (saai) des KIT und der Wüstenrot Stiftung in Kooperation mit dem ZKM | Karlsruhe. Gezeigt werden sowohl bekannte, als auch völlig unbekannte Projekte. Das Material umfasst insgesamt über 200 Modelle, knapp 1.000 Fotos, Zeichnungen, Skizzen, Pläne und Filme sowie eine medientechnische Großprojektion.

In den 1950er-Jahren prägte Frei Otto mit seinen Zeltkonstruktionen die Gartenschauen, die der jungen Bonner Republik eine Abwechslung zum Wiederaufbau boten. 1964 gründete er das Institut für leichte Flächentragwerke an der Technischen Hochschule Stuttgart und baute es zu einer der weltweit wichtigsten Forschungsstätten für eine ökologisch geprägte Architektur und Ingenieurwissenschaft aus.
Das neue offene Deutschland Mit dem Deutschen Pavillon auf der Expo 1967 in Montreal, den er mit dem Architekten Rolf Gutbrod realisierte, schuf er ein Symbol des neuen offenen Deutschlands. Dieser Eindruck wurde durch die Dachlandschaft für die Olympischen Spiele 1972 in München, die er mit dem Architekturbüro Behnisch & Partner realisierte, verstärkt. In den nächsten Jahrzehnten war
Otto an der Realisierung zahlreicher Bauten beteiligt, wie etwa der vom Architekturbüro Carlfried Mutschler + Partner 1975 entworfenen Multihalle in Mannheim. Die Multihalle ist bis heute die größte freitragende Holzgitterschalenkonstruktion der Welt und wurde wegen ihrer filigranen materialminimierten Konstruktion 1998 als Kulturdenkmal erfasst. Mehrere Gutachten sehen vor, das sogenannte „Wunder von Mannheim“ einer Generalsanierung zu unterwerfen. Auch der Teilerhalt der Halle sowie deren Rückbau stehen aktuell zur Diskussion. 1997 gewann das Architekturbüro
Ingenhoven, Overdiek, Kahlen und Partner zusammen mit Frei Otto den Wettbewerb für den Umbau des Stuttgart Bahnhofs. Otto entwickelte hierfür u.a. die kelchartigen Stützen, die insbesondere das Gesamtbild des Bahnhofs prägen. Die optimale Form der Stützen entwickelte Otto anhand zahlreicher Modelle. 2009 distanzierte sich Otto von dem Projekt. 2000 entwarf Otto den Japanischen Expo Pavillon in Hannover, zusammen mit dem Architekten Shigeru Ban.

Denken in Modellen

Frei Ottos Denken zeichnete sich durch eine Experimentierfreudigkeit aus, deren Methoden zwischen Architektur, Wissenschaft und Kunst zu verorten sind. Er entwickelte Instrumente zur Erforschung selbstorganisierender Prozesse, Messtische zur Bestimmung von Kräfteverläufen, Apparate zur Erforschung pneumatischer Konstruktionsformen oder Werkzeuge zur Analyse komplexer Netzmodelle.

Das unermüdliche Experimentieren am Modell diente der Erforschung von kausalen Zusammenhängen und als formgenerierender Teil des Entwurfsprozesses gleichermaßen. Frei Otto legte damit die Grundlage für eine bis heute relevante Experimentalkultur zwischen wissenschaftlicher Beobachtung und künstlerischem Geschick — eine Form der handwerklich-intellektuellen Selbstjustierung, in der das Entwerfen sowohl individuelle Erkenntnisproduktion als auch Ausgangspunkt für einen kollektiven Diskurs über die Zukunft der gebauten Umwelt bedeuten kann.

Die Architekturmodelle fungieren bei Frei Otto nicht als „statische Objekte“, sondern vielmehr als „dynamische Objekte“, d.h. als Prozessmodelle der gesamten Umwelt. Sie verkörpern eine „operative Ästhetik“ (Georg Vrachliotis), die sich zwischen der Präzision von wissenschaftlichen Objekten und der Imagination künstlerischer Instrumente bewegt.

Das innovative Potenzial in Frei Ottos Oeuvre beruht in der großen Interdisziplinarität seines Denkens zwischen Architektur, Technik, Wissenschaft und Gesellschaft. Er erkannte die Modellhaftigkeit der Natur und versuchte Zeit seines Lebens, diese für die Architektur und den Ingenieurbau zu nutzen. Das Ziel dieser Ausstellung ist es, neue Sichtweisen auf das Werk von Frei Otto zu vermitteln und als Grundlage für neue Fragestellungen zur Zukunft der gebauten Umwelt zwischen Architektur, Technologie, Nachhaltigkeit und Gesellschaft zu dienen.

Vier zentrale Positionen

Die Ausstellung setzt sich aus vier zentralen Positionen zusammen, die szenographisch die beiden Lichthöfe füllen und die BesucherInnen durch das umfangreiche Archivmaterial, das das Südwestdeutsche Archiv für Architektur und Ingenieurbau (saai) eigens für diese Ausstellung aufbereitet hat, führen.

Die Ausstellung wird am Freitag, 04.11.2016 um 19.00 Uhr eröffnet.