„Theologischer Code“ des Speyerer Doms rekonstruiert

Eine wichtige historische Quelle zum Speyerer Dom ist jetzt als wissenschaftliche Edition im Aschendorff-Verlag Münster erschienen: Der „Liber Ordinarius“ aus dem 15. Jahrhundert erschließt die Geschichte des Gottesdienstes an der romanischen Kathedrale im späten Mittelalter. Als Regiebuch gibt er Hinweise zu den Prozessionen, dem Stundengebet sowie der feierlichen Messe des Domkapitels. Mit seinen Angaben lässt sich der „theologische Code“ des Kaiserdoms rekonstruieren, so der Liturgiewissenschaftler Professor Dr. Andreas Odenthal (Tübingen), der mit dem Historiker Dr. Erwin Frauenknecht für die Edition verantwortlich zeichnet.

„Der Kaiserdom zu Speyer verdankt sich in seiner baulichen Gestalt wie in der ursprünglichen Anordnung der Altäre der politischen wie theologischen Akzentsetzungen durch die Salier“, betont Odenthal. Ein Forschungsprojekt zum „Liber Ordinarius“ habe deutlich gemacht, „wie sehr das religiöse wie politische Selbstverständnis der Salier mit den gottesdienstlichen Handlungen des Domes und der damit verbunden Altaranordnung zusammenhängt“. Man habe beim Dombau in Speyer von einer noch in Worms und Mainz vorhandenen doppelchörigen Anlage Abstand genommen, um den Westteil ganz der Herrschaftsrepräsentation vorzubehalten. Altarstellen fanden sich bis ins Hohe Mittelalter lediglich im Osten der Saliergrablege. Der Hochaltar St. Maria dürfte dabei auf das Fest Mariae Geburt (am 8. September) Bezug nehmen, denn an diesem Tag wurde Konrad II. im Jahre 1024 zum König gekrönt. Lese man den Marientitel im Kontext der beiden Seitenaltäre, St. Stephanus (Fest am 26. Dezember) im Süden und St. Johannes Evangelist (Fest am 27. Dezember) im Norden, gerate das Weihnachtsfest in den Blick. „Damit wird erneut ein wichtiges Datum der Salierdynastie festgehalten, denn am Weihnachtstag des Jahres 1046 wurde Heinrich III. in Alt-St. Peter in Rom zum Kaiser gekrönt“, so Odenthal. Ein achter, aufgrund der Quellen rekonstruierter zentraler Altar der Krypta sei dann nicht zufällig dem Apostel Petrus geweiht und könne als Romzitat gedeutet werden.

Der „Liber Ordinarius“ ist nach Darstellung des Liturgiewissenschaftlers zudem eine Fundgrube für typisch spätmittelalterliche Frömmigkeit und ihre Inszenierungen. So wurde etwa an Christi Himmelfahrt eine Figur des Auferstandenen in das Gewölbe hinaufgezogen, um die Himmelfahrt Christi auch anschaulich zu machen. Viele weitere Details finden sich in der historischen Quelle: Hinweise zu den Orgeln des Domes, den Schatzstücken, den kostbaren Stoffen, die zum Schmuck des Domes verwendet wurden, sowie Arbeitsanweisungen an die Glöckner und Sakristane.

Andreas Odenthal/Erwin Frauenknecht, Der Liber Ordinarius des Speyerer Domes aus dem 15. Jahrhundert, Aschendorff-Verlag Münster 2012, 184 Seiten, 29 Euro, ISBN 978-3-402-11262-5