Neustadt: Peter Gall Quintett – Release-Tour „Paradox Dreambox“ – am 21. Februar 2019 im Jazzclub

Peter Gall (Foto: Alejandra Barragan, Design: Knut Schötteldreier)
Peter Gall (Foto: Alejandra Barragan, Design: Knut Schötteldreier)

Neustadt an der Weinstraße – Der renommierte Berliner Drummer und Komponist Peter Gall präsentiert seine erste eigene Produktion „Paradox Dreambox“. Das eigens für die Release-Tour zusammengestellte Quintett (Echo-Jazz-Preisträger Wanja Slavin(sax), der holländischen Shooting-Star Reinier Baas(git), Doppelprofessor für Klavier und ‚Neuer Deutscher Jazzpreis‘-Gewinner Rainer Böhm sowie Felix Henkelhausen – einer der gefragtesten jungen Bassisten Deutschlands) verführt mit melodiösen Bögen, vielschichtigen Arrangements und dynamischen Interaktionen.

In den vergangenen 12 Jahren hat sich Peter Gall als souveränes Metrum und Komponist in diversen Bands profiliert, etwa bei Subtone (u.a. mit Florian Hoefner, Magnus Schriefl und Matthias Pichler) oder Roberto Di Gioias Web Web (u.a. mit Tony Lakatos). Auf rund 30 Alben ist Gall bislang als Drummer zu hören, darunter im Trio seines Bruders Chris, bei Blume (mit Schriefl, Wanja Slavin, Bernhard Meyer), dem Rainer Böhm Quartett, Torsten Goods und Enik; zudem wurde er von Koryphäen wie Kurt Rosenwinkel oder Thomas Quasthoff u.v.m. engagiert. Nun präsentiert der seit seinem Diplomstudium (u.a. bei John Hollenbeck) und einem zweijährigen New York-Aufenthalt wieder in Berlin ansässige Musiker seine erste eigene Produktion, Paradox Dreambox. Sie überfällt nicht mit überbordendem Getrommel, sondern verführt durch melodiöse Bögen und vielschichtige Arrangements, nuancierte Band-Interaktionen und latente Energie auch in leiseren Passagen. Dynamik zieht sich als eine Art Leitmotiv durch das Album. Das temporeiche Titelstück setzt offensive Akzente, mit parallelen und verschlungenen Linien, versetzten Beats, sich gegenseitig aufstachelnden Soli und mitreißender Emphase. Ausgehend von einem pointierten Klavier-Intro, entwickelt das Quintett weite Bögen, die sich zum Ende hin vereinen, verzahnen und in einem lyrischen Klavierteil ausklingen. Die folgende Ballade Faro kreiert hingegen trotz 6/8-Takt eine beinahe kontemplative Stimmung, die weniger die robuste Kraft des Atlantiks als vielmehr das relativ entspannte Lebensgefühl und die weiten Ausblicke über Landschaft und Meer am südlichsten Punkt Europas imaginiert. Dass Wanja Slavin in seinem wunderbar gefühlvollen Alto-Solo am Ende doch ein wenig rauer wird, passt perfekt ins Bild. 4 West wiederum reflektiert, bereits 2010 in New York geschrieben, die Jazzstimmung in der Stadt; melodische Passagen alternieren mit Soli, nach Klavier und Kontrabass changiert die Klangästhetik ins Elektronische, übernehmen Synthesizer-Sounds und Flöten bis zum Ende des Stücks die Hauptrolle.

Abwechslungsreich geht es weiter, mal etwas mehr in Richtung musikalisch-künstlerische Freiheit, mal ruhiger. Dass Yellow Heaven mehr als alle anderen Stücke wie ein Song ohne Worte klingt, ist kein Zufall. Immerhin hat Peter Gall, 1983 geboren und in seiner Jugend vom Vater und seinem älteren Bruder Chris nicht nur mit Jazz infiziert, auch ein erklärtes Faible für The Beatles und Radiohead, Bon Iver und Elliot Smith. „Der gelbe Himmel ist weniger ein Ort, eher ein Zustand“, sinniert Gall, „das Stück basiert auf einem sehr emotionalen Song übers Älterwerden, Vergänglichkeit und Hoffnung, den ich vor zwei Jahren für einen Geburtstag geschrieben habe. Jetzt spielen wir ihn ohne Text, mit einer magischen Interpretation von Wanja.“ Jede seiner Kompositionen auf Paradox Dreambox steht für sich, sagt Peter Gall. Entsprechend variabel klingt das Repertoire und lässt doch stets klare musikalische Handschrift erkennen. Zu allen Stücken kann Gall eine Geschichte erzählen oder zumindest eine Erinnerung anbringen. Beim gut neunminütigen A Bird’s First Escape geht es nicht etwa um Charlie „Bird“ Parker, es bezieht sich vielmehr auf den Vogel einer Nachbarin, der einst aus seinem Käfig entweichen und erstmals in Freiheit seine Kreise ziehen konnte. Indie A ist ebenfalls in New York entstanden und verabschiedet unsentimental eine verblichene Romanze; für sein dreistimmiges Arrangement lud Gall hier den Tenorsaxophonisten Ben Kraef als speziellen Gast ein. Das abschließende Ambrilla beginnt mit lyrischen Themen und melancholisch-sehnsuchtsvollen Akkorden, um dann unvermittelt durch Synthis, elektronische Sounds und Grooves komplett die Richtung zu ändern. „Die Idee ist, eine Stimmung zu kreieren, der man sich hingibt – um dann passiert etwas ganz anderes, unerwartetes.“ In diesem Zusammenhang holt Gall etwas weiter aus, reflektiert über die Musik zu David Lynchs Twin Peaks und dessen unerklärliche Szenen und Eindrücke. „Im Soundtrack erzeugen oder verstärken die Synthesizer eine mystische bis surreale Atmosphäre. Wir haben auf ähnliche Art, also mit elektronischen Sounds, kleine Ausflüge in Zwischen- oder Parallelwelten unternommen, die manchmal paradoxe oder dunkle Stimmungen hervorrufen.“ Peter Galls erstes Album unter eigener Regie ist kein Schnellschuss. Vielmehr haben sich Konzept, Kompositionen und Bandbesetzung über einen längeren Zeitraum in der Vorstellung des Musikers ausgeformt. Als Bandleader alle Fäden in der Hand zu halten, ging Gall bereits durch den Kopf, während er vor rund sieben Jahren an der Manhattan School of Music in N.Y.C. seinen Master absolvierte. Trotzdem verschob er das Projekt immer wieder; erst ein Kompositionsstipendium des Berliner Senats machte den Weg frei. Bereits beim Schreiben der Stücke für Paradox Dreambox hatte Peter Gall den jeweiligen Klang und die emotionale Spielhaltung seiner musikalischen Partner im Kopf, mit denen er größtenteils seit Jahren befreundet ist. Zu Wanja Slavin, Rainer Böhm und Matthias Pichler muss man nichts mehr sagen, alle wurden schon mit Preisen ausgezeichnet und zählen zu den markanten Personen des jüngeren deutschen Jazz. Etwas unbekannter dürfte der holländische Gitarrist Reinier Baas sein. „Ich hatte ihn an der Manhattan School kennengelernt und seine Alben beeindruckten mich. Jahre später haben wir dann zufällig einige Gigs zusammen gespielt. Abgesehen davon, dass er ist ein sehr eigenständiger Gitarrist ist, fand ich die Idee interessant, ihn als einen Musiker einzuladen, der mir nicht so vertraut ist wie die anderen. Um Spontaneität und eine unmittelbare Kommunikation zu provozieren.“ Grundsätzlich ließ Gall all seinen Partnern Freiräume, eigene Ideen einzubringen. Umso spannender empfand er es, mit welchen Einfällen Baas die Band überraschen würde. „Wir haben uns alle gegenseitig befruchtet“, konstatiert Gall zufrieden, „und Reinier hat einige Intros beigesteuert, die die Songs auf ihre Art prägen. Seine Klangfarben, beispielsweise bei Faro und Bird’s First Escape, hatte ich mir gewünscht, ohne sie konkret benennen zu können.“ Was es mit dem Titel des Albums, Paradox Dreambox auf sich hat? Peter Gall sagt von sich selbst, er habe generell einen gewissen Hang zum Träumen. Seine Kompositionen betrachtet er als Rahmen („box“), in dem sich träumen lässt. Dabei ist dieser Rahmen, innerhalb dessen sich die ganze Band bewegt, flexibel und kann in Teilen sogar lustvoll dekonstruiert werden. Mit seiner Musik erzählt Gall auf nicht-lineare Art Geschichten, in denen Bilder und Handlungen auf unerwartete, bisweilen beinahe mysteriöse Weise wechseln. Der Name Paradox Dreambox beschreibt, sagt Peter Gall, einen „Vibe“, in dem prägnante Klangfarben unterschiedliche Assoziationen und vielschichtig interpretierbare Gefühlswelten auslösen können. Mit seiner suggestiven, stilistisch offenen Musik etabliert sich der versierte Schlagzeuger endgültig auch als versierter Komponist und kluger Bandleader in der zeitgenössischen Jazzszene.

Donnerstag, 21. Februar 2019 ab 20:30 Uhr
Steinhäuser Hof, Rathausstrasse 6, 67433 Neustadt
Kulturbeitrag VVK 25,- €
Jazzclub NW e.V. Mitglieder ermäßigt
Karten gibt es im Steinhäuser Hof, www.steinhaeuserhof.de / Tel.Nr.: 06321 489060