VG Neustadt: Klageverfahren wegen Glocke in Herxheim am Berg

Verwaltungsgericht Neustadt, Urteile vom 22. Oktober 2018 – 3 K 751/18.NW - und 3 K 802/18.NW

Neustadt an der Weinstraße – Das Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße hat am 22. Oktober 2018 über zwei Klagen verhandelt, welche die Glocke in Herxheim am Berg betreffen. Der Kläger, deutscher Staatsangehöriger jüdischen Glaubens, wendet sich gegen Äußerungen des Bürgermeisters der Gemeinde Herxheim am Berg sowie gegen den Beschluss des Gemeinderates der Gemeinde Herxheim am Berg vom 12. März 2018.

Im Kirchturm der Protestantischen Kirche in Herxheim am Berg hängt seit dem Jahr 1934 eine mit einem Hakenkreuz versehene und der Aufschrift „Alles fuer`s Vaterland – Adolf Hitler“ versehene Glocke. Der Kirchturm, in dem die Glocke hängt, steht laut Evangelischer Kirche der Pfalz im Eigentum der protestantischen Kirchengemeinde Herxheim am Berg. Die Glocke ist Eigentum der politischen Gemeinde Herxheim am Berg.

Der Gemeinderat der Gemeinde Herxheim am Berg befasste sich in der Gemeinderatssitzung am 12. März 2018 mit der Frage, was mit der Glocke geschehen solle, und beschloss in geheimer Abstimmung:

„Der Gemeinderat beschließt, die Polizeiglocke aus dem Jahr 1934 im Turm der Jakobskirche in Herxheim am Berg als Anstoß zur Versöhnung und Mahnmal gegen Gewalt und Unrecht weiterhin hängen zu lassen.“

Der Kläger hat am 2. Juni 2018 Klage (3 K 751/18.NW) erhoben, mit der er die Feststellung begehrt, dass dieser Gemeinderatsbeschluss rechtswidrig und deshalb aufzuheben sei.

Der Kläger hat am 11. Juni 2018 auch gegen den Bürgermeister der Gemeinde Herxheim am Berg Klage erhoben (3 K 802/18.NW). Er beantragt, dem Bürgermeister der Gemeinde Herxheim am Berg die Äußerung zu verbieten, das Läuten (der „Hitlerglocke“) „…dient der Versöhnung mit den Opfern der Nazizeit“.

Als deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens und als Blutsverwandter von KZ-Dachau überlebenden Naziopfern sehe er in dieser Aussage eine unzumutbare Verspottung und Verhöhnung der Opfer des Hitlerterrors und des Holocaust sowie deren Nachfahren. Zu äußern, eine Glocke, die den Namen des größten Massenmörders der Weltgeschichte – Adolf Hitler – trage, die das verbotene verfassungsfeindliche Hakenkreuz trage, diene im Läuten sowie überhaupt „der Versöhnung mit den Opfern der Nazizeit“, habe der Bürgermeister zu unterlassen. Er verweise ausdrücklich auf die Stellungnahme des Zentralrates der Juden in Deutschland, in der es als unerträglich erklärt werde, dass die Glocke als Zeichen der Versöhnung mit den Opfern der Nazizeit weiter läuten solle.

Die 3. Kammer des Gerichts hat beide Klage abgewiesen. Der Kläger sei allerdings klagebefugt, könne sich somit sowohl gegen den Gemeinderatsbeschluss als auch die zitierte Äußerung des Bürgermeisters wenden. Dies ergebe sich aus dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 18. September 1979 (– VI ZR 140/78 –), in dem es heiße:

„Die jüdischen Staatsbürger der Bundesrepublik Deutschland gehören zum Kreis der geschützten Rechtsgutträger, obwohl sie eine größere Gruppe Menschen sind. Die jüdischen Staatsbürger der Bundesrepublik sind zu einer in jeder Beziehung scharf abgegrenzten Volksgruppe geworden, da das vom Nationalsozialismus auferlegte Schicksal sie zu einer Einheit verbindet, die sie aus der Allgemeinheit hervortreten lässt und personell in jeder ihr zugehörenden Person verkörpert wird.

Das einzigartige Verfolgungsschicksal der Juden im „Dritten Reich“ prägt den Geltungsanspruch und Achtungsanspruch eines jeden von ihnen vor allem gegenüber den Bürgern des Landes, auf dem diese Vergangenheit lastet. Die Bedeutung jenes Geschehens für die Person geht hier über das persönliche Erlebnis der Diskriminierung und Nachstellung durch die Nationalsozialisten hinaus. Die historische Tatsache selbst, dass Menschen nach den Abstammungskriterien der sog. Nürnberger Gesetze ausgesondert und mit dem Ziel der Ausrottung ihrer Individualität beraubt wurden, weist den in der Bundesrepublik lebenden Juden ein besonderes personales Verhältnis zu ihren Mitbürgern zu; in diesem Verhältnis ist das Geschehen auch heute gegenwärtig. Es gehört zu ihrem personalen Selbstverständnis, als zugehörig zu einer durch das Schicksal herausgehobenen Personengruppe begriffen zu werden, der gegenüber eine besondere moralische Verantwortlichkeit aller anderen besteht, und das Teil ihrer Würde ist. Die Achtung dieses Selbstverständnisses ist für jeden von ihnen geradezu eine der Garantien gegen eine Wiederholung solcher Diskriminierung und eine Grundbedingung für ihr Leben in der Bundesrepublik.

Dem persönlichen Betroffensein steht dabei nicht entgegen, dass eine Person selbst jener Verfolgung nicht ausgesetzt gewesen war. Nicht das persönlich erlittene Verfolgungsschicksal ist das verbindende Kriterium, sondern der geschichtliche Vorgang, mit dem das Persönlichkeitsbild jedes in der Bundesrepublik lebenden Juden, seine personale und soziale Stellung gegenüber seinen deutschen Mitbürgern belastet ist. Der Kreis der Betroffenen beschränkt sich daher nicht auf die Juden, die unter der Verfolgung des „Dritten Reiches“ leben mussten und sie überlebt haben (so schon BGH Urteil vom 8. Mai 1952 – 5 StR 182/52 – NJW 1952, 1183,1184). Das entsetzliche Geschehen prägt in der Bundesrepublik das Bild ihrer Bürger jüdischer Abstammung schlechthin; sie verkörpern diese Vergangenheit, auch wenn sie selbst an ihr nicht teilhaben mussten.“

Die somit zulässigen Klagen hatten aus folgenden Gründen keinen Erfolg: Bei der von dem Kläger beanstandeten Äußerung des Bürgermeisters und dem Beschluss des Gemeinderates der Gemeinde Herxheim am Berg handele es sich um eine Meinungsäußerung und nicht um eine Tatsachenbehauptung, weil die Beantwortung der Frage nach einer ver­söhnenden Wirkung der in Rede stehenden Glocke keiner Beweisaufnahme zugänglich sei, sondern maßgeblich von wertenden Elementen abhängig sei. Eine solche Meinungsäußerung löse dann einen Unterlassungsanspruch aus, wenn sie primär auf eine Herabsetzung einer Person oder Personengruppe und nicht auf eine Auseinandersetzung in der Sache ziele. Dies lasse sich im vorliegenden Fall trotz des umfang­reichen Vorbringens des Klägers nicht feststellen.

Unabhängig davon, wie man inhaltlich zu der Meinungsäußerung der Beklagten stehe, sei sie Teil der Auseinandersetzung um den weiteren Umgang mit der in Rede stehenden Glocke und diene auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht der Verhöhnung Menschen jüdischer Abstammung. Denn die Auffassung, die Glocke solle im Turm verbleiben und als Anstoß zur Versöhnung dienen, weise bei objektiver Betrachtungsweise einen greifbaren Sachbezug auf und sei deshalb als Meinungsäußerung hinzunehmen, zumal nach dem mehrheitlichen Willen des Ortsgemeinderats die Geschichte der Glocke durch eine Mahntafel erläutert werden solle.

Gegen die Urteile kann innerhalb eines Monats nach Zustellung die Zulassung der Berufung bei dem Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz beantragt werden.