Ludwigshafen: Ludwigshafener Bildungsgespräche – „Lernziel Demokratie“

Überlegungen zum Verhältnis von Demokratie und Bildung“ – Vortrag und Diskussion mit Prof. Dr. Oskar Negt

Oskar Negt bei seinem Vortrag (Foto: Hochschule Ludwigshafen)
Oskar Negt bei seinem Vortrag (Foto: Hochschule Ludwigshafen)

Ludwigshafen – Nichts Geringeres als die Erziehung zur Demokratie war das Thema der 6. Ludwigshafener Bildungsgespräche an der Hochschule Ludwigshafen am Rhein. Wie kann man Demokratie lernen? Was bedeutet das für die Institutionen der Bildung? Welchen Beitrag können Bildungseinrichtungen, Schulen und Hochschule, aber auch Gewerkschaften oder der Einzelne leisten, um die Wege in ein demokratisches Miteinander in Europa und der Welt offenzuhalten? Wie kommt es zu Tendenzen der Entdemokratisierung in Europa und welche möglichen Ursachen hat die zunehmende Entpolitisierung der Gesellschaft? Diese und viele weitere Fragen nahm Prof. Dr. Oskar Negt, einer der bedeutendsten Sozialwissenschaftler und Sozialphilosophen Deutschlands, in seinem Vortrag in den Blick und schlug dabei den philosophischen Bogen von Cicero und der Senatsrepublik über die Philosophie des Humanismus bis hin zur kritischen Sozialphilosophie der Frankfurter Schule und darüber hinaus.

Im Zentrum seiner Ausführungen stand dabei seine These, wonach Demokratie die einzige politische Gesellschaftsordnung ist, die immer wieder gelernt werden muss, damit sie funktioniert: Das Moment des öffentlichen Raums sei hierbei für die demokratische Erziehung zum „Zoon politikon“ im Aristotelischen Sinne zentral; das Vergessen die größte Gefahr, so Negt. Der „suchenden Gesellschaft“ unserer Tage riet er, durch „Drehen und Wenden“ der augenscheinlichen Wirklichkeiten auch die „unterschlagene Wirklichkeit“ der Dinge sichtbar zu machen, die Würde des Menschen als obersten Maßstab zu nehmen und den heute dominierenden „Tatsachenmenschen“ (Husserl) und „unternehmerischen Identitäten“ ein Menschenbild humanistischer Prägung, den „Möglichkeitsmenschen“ (Musil) entgegenzusetzen. Immer wieder rekurrierte Oskar Negt dabei auf die Schriften des gebürtigen Ludwigshafeners Ernst Bloch, der einer verzagten, zerrissenen Zeit seine Philosophie der Hoffnung entgegensetzte, und plädierte für das Erproben des Widerstands und der verändernden Möglichkeiten als anthropologische Konstante.

In der anschließenden Diskussion, moderiert von den Initiatoren dieser Bildungsgespräche, Prof. Dr. Jörg Reitzig und Prof. Dr. Peter Rahn vom Fachbereich Sozial- und Gesundheitswesen, stellte sich Oskar Negt den Fragen aus dem Publikum. Die Bedeutung der Gewerkschaften als integraler Bestandteil und Garant für demokratische Verfasstheit wurden dabei ebenso erörtert wie die Frage nach der Integration des exemplarischen Lernens und der politischen Bewusstseinsbildung in (hoch)schulischen Unterricht und berufliche Ausbildung oder die Suche nach den „Rissen im Gefüge“, um aus den aufgespürten „Krisenherden Arbeitsfelder zu machen“.

Zum Referenten:
Oskar Negt (Jg. 1934) gilt als einer der bedeutendsten Sozialwissenschaftler Deutschlands und einer der wichtigsten Vertreter der Frankfurter Schule. Er studierte in Frankfurt am Main bei Max Horkheimer und Theodor W. Adorno Soziologie und Philosophie, promovierte bei Adorno und war Assistent von Jürgen Habermas an den Universitäten in Heidelberg und Frankfurt am Main. Von 1970 bis 2002 war Negt Professor für Soziologie in Hannover. Neben seiner Bedeutung als Soziologe und Sozialphilosoph ist Negt geschätzter Analyst tagespolitischer Ereignisse und einer der profiliertesten politischen Erwachsenenbildner Deutschlands mit besonderem Gespür für die Probleme der Arbeitswelt. 2010 erschien sein Buch „Der politische Mensch. Demokratie als Lebensform“, 2012 „Gesellschaftsentwurf Europa“ und 2016 die Autobiographie „Überlebenssuche“.