Bären: Wenn jeder mit jedem kann – Erstmalig die Genome aller Bärenarten entschlüsselt

Hybridbären wie der Pizzly oder Grolar – eine Mischung zwischen Polarbär und Grizzly – sind nicht so selten wie bisher angenommen. (Foto: Andrew E. Derocher)
Hybridbären wie der Pizzly oder Grolar – eine Mischung zwischen Polarbär und Grizzly – sind nicht so selten wie bisher angenommen. (Foto: Andrew E. Derocher)

Frankfurt am Main – Senckenberg-Wissenschaftler haben mit Hilfe mehrerer zoologischer Gärten das komplette Erbgut von vier Bärenarten sequenziert. Damit liegen erstmalig die vollständigen Genome aller Bärenarten vor. Die Analyse des Forscherteams zeigt, dass ein Genfluss zwischen den meisten Bärenarten möglich ist. In der heute im Fachjournal „Nature Scientific Reports“ erschienenen Studie stellen die Wissenschaftler daher auch das bisherige Artenkonzept für Bären in Frage.

Pizzly, Grolars oder „Capuccinobären“ – so nennt man die Nachkommen, die aus der Paarung von Grizzlybären (Ursus arctos horribilis) und Polarbären (Ursus maritimus) entstehen. „Das solche ‚Hybridbären’ nicht so selten sind, wie wir bisher angenommen haben, konnten wir in unserer neuen Studie zeigen“, erklärt Prof. Dr. Axel Janke vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum in Frankfurt. Ein Team von Wissenschaftlern um den Frankfurter Evolutionsgenetiker hat in einer großangelegten Analyse sechs vollständige Genome von vier Bärenarten sequenziert. Jedes Genom ist etwa 2,5 Milliarden Basenpaare groß. „Mit diesen neuen Analysen von Kragenbär, Lippenbär, Malaienbär und Brillenbär liegen uns nun die Genome aller bekannten Bärenarten vor“, ergänzt Janke.

Bisher nahm man an, dass es Polar-Braunbärhybride vermehrt auf Grund des Klimawandels auftreten, da der Braunbär zunehmend in nördliche Regionen vorstößt und der Polarbär in einigen Regionen erst später auf das Eis gehen kann. Die neuen Ergebnisse zeigen aber, dass es Genfluss zwischen verschiedenen Bärenarten gibt und in der Vergangenheit reichlich gegeben hat. Hybride sind daher nicht unbedingt mit dem Klimawandel verknüpft. „Bären können und konnten in verschiedenen Kombinationen Hybride bilden“, erläutert Janke und fährt fort: „Was uns schon aus Zoos bekannt war, wurde in der freien Wildbahn bisher nur für Polar- und Braunbär sowie Kragen- und Malaienbären nachgewiesen.“

Braunbären könnten Zwischenwirte für Gene zwischen den geographisch voneinander getrennt lebenden Polar- und Kragenbären sein, da ihr Verbreitungsgebiet mit den jeweiligen Lebensräumen der anderen Bärenarten überlappt. (Foto: Alexander Kopatz)
Braunbären könnten Zwischenwirte für Gene zwischen den geographisch voneinander getrennt lebenden Polar- und Kragenbären sein, da ihr Verbreitungsgebiet mit den jeweiligen Lebensräumen der anderen Bärenarten überlappt. (Foto: Alexander Kopatz)

Die neuen Genomdaten zeigen, dass es sogar Genfluss zwischen dem geographisch getrennt lebenden Polar- und Malaienbär gab. Diesen vermeintlichen Widerspruch erklären sich die Forschenden durch einen „Zwischenwirt“ oder „Vektor“, der die Gene in verschiedene Richtungen weitergegeben hat. Als Überbringer kommt der Braunbär in Frage: Dessen Verbreitungsgebiet überlappt mit dem aller anderen Bärenarten und sein Genom enthält auch Gene des Polarbären. „Diese Polarbärgene kann der Braunbär dann durch Hybridisierung an andere Bärenarten in Asien weitergeben“, ergänzt der Frankfurter Wissenschaftler.

Der nachgewiesene Genfluss zwischen den Bärenarten stellt das grundsätzliche biologische Artkonzept in Frage. Dieses geht davon aus, dass unterschiedliche Arten in freier Wildbahn keine Nachkommen zeugen können oder diese steril sind. Das bekannteste Beispiel hierfür ist das zeugungsunfähige Maultier, das aus der Hybridisierung von Pferd und Esel hervorgeht. Bei den Bärenarten ist genau dies aber nicht der Fall. Janke hierzu: „Wir müssen uns daher fragen: Hat das Artkonzept für Bären, aber auch generell, noch Bestand? Was müssen wir schützen – Arten oder genomische Vielfalt?“.

Sicher scheint, dass die neuen technischen Möglichkeiten und die Weiterentwicklung der Genomik immer wieder die Grundregeln der Biologie in Frage stellen werden und es neue Impulse für die Forschung geben wird. „Die Evolution erzeugt Unterschiede und Anpassungen – ob wir diese Arten nennen, ist aber letztlich nicht so wichtig. In jedem Fall gilt es, genetische Unterschiede zu bewahren, um eine Anpassung an künftige Umweltveränderungen zu ermöglichen und die Vielfalt zu schützen“, resümiert Janke.