Karlsruhe: „Manhattan Transfer“ wird in HfG Karlsruhe gespielt

Großstadt-Moloch im Lichthof

Karlsruhe – 1925 erschien „Manhattan Transfer“ von John Dos Passos und gilt seitdem als Meisterwerk des modernen Romans. 2016 erschien eine Neuübersetzung, die dem SWR als Grundlage für eine Hörspielfassung diente. Am 14. Juni 2016 wird diese als „Die Lange Nacht von Manhattan“ in der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe im Rahmen der Hörspielreihe „hoerensagen“ zu hören sein. Prof. Dr. Stephan Krass von der HfG Karlsruhe und Chefdramaturg Manfred Hess geben eine Einführung. Sofas und Sitzecken, Essen und Trinken sorgen ab 19 Uhr für eine entspannte Atmosphäre im Lichthof der Hochschule. Kommen und Gehen während der fünfstündigen Laufzeit ist ausdrücklich erlaubt.

„Wenn New York einem schal und langweilig erscheint, ist das Schreckliche daran die Tatsache, dass man nirgendwo anders hinkann. New York ist die Spitze, der Gipfel der Welt. Hier können wir immer nur im Kreis laufen wie ein Hamster im Käfig“, schreibt John Dos Passos in seinem legendären Roman, in dessen Zentrum die Geschichte von New York steht. Wie die Stadt sich zur modernsten, aufregendsten, aber auch gnadenlosesten Metropole der damaligen Zeit entwickelt, spiegelt der Romancier in zahlreichen Lebensläufen. Dos Passos nutzt für seinen Meilenstein moderner Großstadtliteratur die moderne Collage-Technik: Er montiert dokumentarische Zeitungsschlagzeilen, expressive Erzählerpassagen, Monologe und coole Dialoge hart aneinander. Auf revolutionäre Weise schafft er das Bild einer Zeit, in der sich die Menschen im Großstadtdschungel neu orientieren müssen: Elektrisches Licht, Autos, U-Bahnen, Hochhäuser, die aufkommende Broadway-Unterhaltungsindustrie.

Von den über hundert Figuren folgt Dos Passos nur wenigen über die gut 20 Jahre erzählter Zeit: so etwa einem jungen Einwanderer, einem korrupten Gewerkschaftsführer, einem aufstrebenden Juristen, einet emanzipierte jungen Frau aus der Theater-Bohème, einem Alkoholiker. Die musikalisch dichte Hörspielbearbeitung von Leonhard Koppelmann und Hermann Kretzschmar folgt ihnen als Ariadnefaden durch die Wirren der Zeit. Außerdem arbeitet sie bewusst mit klangmusikalischen Miniaturen, um Glanz und Elend dieses Großstadt-Molochs in eine künstlerisch-akustische Wirklichkeit von Heute zu überführen. Der SWR hat gemeinsam mit dem Deutschlandfunk das Hörspiel als akustische Wiederentdeckung mit einem hochkarätig besetzten Ensemble aus fast 50 Sprecherinnen und Sprechern geschaffen (u.a. Maren Eggert, Stefan Konarske, Ulrich Matthes, Axel Prahl, Max von Pufendorf, Ulrich Noethen, Milan Peschel), das die großstädtische Vielstimmigkeit des Romans transpiert. „Der Zauber entsteht, wenn sich das Hörspiel verselbstständigt und das, was vorher Papier und Druckerschwärze war, zu leben beginnt“, sagt der preisgekrönte Regisseur Leonhard Koppelmann über das Hörspiel „Manhattan Transfer“.

John Don Passos, geboren 1886 in Chicago, gestorben 1970 in Baltimore, zählt zu den literarischen Hauptvertretern der US-amerikanischen Moderne. Neben „Manhattan Transfer“ begründete seinen Ruf als Romancier und Kritiker kapitalistischer Strukturen seine auf Deutsch mittlerweile vergriffene USA-Romantrilogie „Der 42. Breitengrad“ (1930), „1919“ (1932) und „Die Hochfinanz“ (1936). Als sein Frühwerk „Orient Express“ von 1927 im Jahre 2013 auf Deutsch erschien, wurde es von der Kritik hoch gelobt; ebenso seine erst 1997 publizierte Reportage „Das Land des Fragebogens“ über das Europa von 1945. Sein Schaffen nahm Einfluss auf andere Größen, wie etwa Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz“, Wolfgang Koeppens „Tauben im Gras“ oder Paul Austers postmoderner New-York-Trilogie.