Der Platzsturm – Ein Phänomen der Hilflosigkeit

Eine schöne Interaktion zwischen Fans und Spieleren: Abklatschen nach dem Spiel, hier im Dietmar-Hopp-Stadion in Sinsheim
Eine schöne Interaktion zwischen Fans und Spieleren: Abklatschen nach dem Spiel, hier im Dietmar-Hopp-Stadion in Sinsheim

Am vergangenen Wochenende sind viele Fans der Bundesliga-Fußballmannschaft des VfB Stuttgart nach dem Schlusspfiff auf den Rasen gelangt und haben Spieler angegriffen, danach standen sie aufgebracht und mit erhobenen Fäusten vor dem Stuttgarter Mannschaftskapitän und einigen anderen Fußball-Verantwortlichen.

Dieser sog. Platzsturm ist kein spezifisches Phänomen der Anhänger des Vereins aus der baden-württembergischen Landeshauptstadt. Vielmehr kommt es immer wieder dazu, dass Fans in großer Zahl den Fußballrasen stürmen, kurioserweise oft mit der Absicht, nicht die gegnerischen, sondern ihre „eigenen“ Spieler zu bedrängen. Diese mal latent spürbare, mal offen gezeigte Aggressivität in den deutschen Fußballstadien hat dazu geführt, dass heutzutagen nur wenig Vätern mit ihren jungen Söhnen und kleinen Töchtern zum Fußball in den großen Stadien kommen. Die Bundesligavereine nahmen es gelassen – die Kasse klingelte ja trotzdem. Der Platzsturm ist inzwischen nichts mehr Ungewöhnliches, die Sportberichterstattung erklärt es mit einer großen Enttäuschung der Fans, meist über einen Liga-Abstieg. Ein Stück weit ist das nachvollziehbar: Die Identifikation mit dem Verein ist groß, oft sind die Anhänger schon seit vielen Jahren im Besitz teurer Dauerkarten und gehen mit guten Freunden zum Fußball, ein erfeuliches Wochenend-Ritual, das sich fest etabliert hat. Wenn dann die aktuelle Mannschaft des Lieblingsvereins jedoch nicht so spielt, wie man es gern möchte, ist der Frust natürlich groß. Doch daraufhin meterhohe Zäune übersteigen und Fußballspieler allein deswegen angreifen, weil sie in zweimal 45 Minuten das Runde nicht ausreichend oft in das Eckige befördert haben? Da stehen sie zu hunderten auf dem Fußballrasen und recken die Fäuste in die Höhe, haben die gleichen Trikots an wie diejenigen, denen ihr Zorn gilt und fordern irgendeine Art von Erklärung oder Entschuldigung? Zur Erinnerung: Die Fans plagen mit dem Abstieg ihrer Lieblingsmannschaft keine Existenznöte, sie verlieren durch die sportliche Niederlage des Teams weder Arbeitsplatz noch Partner(in). Was treibt sie also zu solch bizarren Verhalten an? Wenn das Team der Lieblingsmannschaft offensichtlich so unsagbar schlecht spielt, wieso entscheiden sie sich nicht dafür, ab dem nächsten Spiel dem Geschehen fernzubleiben? Immerhin kann man mit den (Fußball-)Freunden durchaus andere Sachen unternehmen, von der Fahrradtour am Rhein oder Neckar bis zum Picknick im Park. Und bei den üblichen häufigen Spielerwechseln zwischen den Mannschaften sieht man nach nur einem halben Jahr Pause oft eine (fast) völlig andere Elf auf dem heiligen Rasen stehen. Ein Platzsturm ist dagegen nur Ausdruck einer Hilflosigkeit, die mehr über die Protestierenden als den Gegenstand ihres Protestes aussagt.

Als Nicht-Bundesligafußball-Fan, der staunend von solch einen Aufruhr rund um das runde Leder erfährt, muss man das Ganze offenbar mit Fahren mit der Deutschen Bahn vergleichen: Bahnfahren an sich ist ja prinzipiell ein schöne und sehr angenehme Art des Reisens. Nur leider sorgt die „Mannschaft“ der Deutschen Bahn immer wieder mit den unterschiedlichsten Maßnahmen dafür, dass das Bahnfahren äußerst unangenehm wird. Es entsteht immer wieder eine große Diskrepanz zwischen Fahrpreis und erbrachter Beförderungsleistung. Und dann ist man natürlich enttäuscht und aufgebracht und ist nahe daran, den „Spielern“ dieses „Vereins“ den Frust mit erhobener Faust ins Gesicht zu schreien. Aber auf’s Bahnfahren ganz verzichten will man deswegen dennoch nicht.