I love ALDI

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Das Ludwigshafener Wilhelm-Hack-Museum greift eines der aktuellen gesellschaftspolitischen Themen unserer Zeit in einer großen Ausstellung auf: "I love ALDI" beschäftigt sich ab 26. November 2011 mit Fragen der industriellen Lebensmittelproduktion, der Billigware und des postmodernen Konsumverhaltens und seinen Folgen quer durch alle Bevölkerungsgruppen. "Discount" und "billig" als Schlagworte der "aldisierten" Gesellschaft werden umfassend beleuchtet.

38 Künstlerinnen und Künstler präsentieren dazu bis zum 4. März 2012 ihre Positionen in fünf Kapiteln: Verpackung, Konsum, Inhalt, Kunst und Gesellschaft.

Im Begleitprogramm zur Ausstellung befassen sich unter anderem drei hochkarätig besetzte Podiumsgespräche mit der Thematik der Ausstellung.

Ergänzt wird die Schau im Wilhelm-Hack-Museum durch Kunstwerke im öffentlichen Raum: Sebastian Freytag tapeziert den leerstehenden Kaufhof in der Bismarckstraße mit einem konstruktivistischen Motiv in Variation des Gemäldes "Klostergarten Expl.III" von Günter Fruhtrunk.

In der WHM factory kann jede Besucherin und jeder Besucher für 15 Minuten selbst Künstlerin oder Künstler sein. Ein Atelier in der Ausstellung steht Schulen, Kindergärten und Besuchern offen für Workshops und anschließende Ausstellung der produzierten Werke.

Die Ausstellung wird am Freitag, 25. November 2011, 19 Uhr eröffnet. Bereits um 18 Uhr startet im Rathaus-Center eine von Stephanie Senge initiierte Kunstdemonstration, die zum Wilhelm-Hack-Museum führt. Zur Eröffnung sprechen Oberbürgermeisterin Dr. Eva Lohse und Dr. Reinhard Spieler, Direktor des Wilhelm-Hack-Museums.

Das Prinzip ALDI
Das Prinzip ALDI ist eines der erfolgreichsten Geschäftsmodelle in Deutschland. "Hohe Qualität, niedriger Preis" lautet das Versprechen. Eingelöst werden kann es nur über ein konsequentes Verfolgen des Discount-Prinzips: Masse beziehungsweise Menge (im Ein- und Verkauf) gilt als oberstes Gebot; danach ist das wichtigste Prinzip Verzicht: Verzicht auf Zwischenhändler, auf aufwendige Markenwerbung, auf schillernde Wareninszenierungen, auf großes Sortiment.

Besonders im Bereich der Lebensmittelproduktion wird die Ambivalenz dieses Vorgehens offenbar. Einerseits werden für niedrige Einkommensgruppen Produkte zugänglich, die zuvor unerreichbar waren und damit auch Qualitätsstandards neu gesetzt – auch im Billigpreissegment kann Qualität erwartet werden. Andererseits werden die Produzenten im Preis gedrückt, was sich wiederum doch negativ auf die Qualität der Produktion auswirken kann und zudem Folgen im Sinne einer Industrialisierung der Lebensmittelproduktion mit ihren Negativaspekten Massentierhaltung, (Lebensmittel) Chemie bis hin zu Bio- und Gentechnologie haben kann.

Längst ist das Phänomen ALDI ein gesellschaftliches Thema geworden. Es geht dabei nicht um die Marke ALDI, sondern um das System, das in dieser Marke Kultstatus erreicht hat. Nicht nur in einer Arbeiterstadt wie Ludwigshafen steht für einen großen Bevölkerungsanteil das Prinzip "billig" an oberster Stelle. Als Gegenmodell zum Luxus-Markenfetischismus hat die "Aldisierung" alle Einkommens- und Bildungsschichten erreicht und mit dem Billig-Virus infiziert.

Knapp zehn Jahre nach der großen "Shopping"-Ausstellung in der Frankfurter Schirn-Kunsthalle widmet sich das Ludwigshafener Wilhelm-Hack-Museum nun erstmals konsequent dem Thema "Discount" und "billig". Das Thema ist nicht nur in der Stadt omnipräsent, sondern findet sich auch vielfach im Konvolut der "Pop-Sammlung Beck" im WHM mit ihren Fluxus- und Pop Art Objekten, in denen sich die Ebenen von Alltags, Waren- und Kunstwelt vielfach vermischen.
Unter dem Titel "I love ALDI" reflektieren 38 Künstlerinnen und Künstler teils unmittelbar, teils im weiteren Sinne Aspekte der industriellen Lebensmittelproduktion, der Billigware und des postmodernen Konsumverhaltens. Es geht dabei ebenso um inhaltliche wie auch um ästhetische Fragen. In fünf Kapiteln entfaltet sich ein Ausstellungs-Parcours, der zum Teil kritisch, zum Teil aber auch humorvoll und ohne moralisierende Tendenz durch verschiedene Aspekte des Themenkreises führt.

Verpackung
Das System "Discount" tritt nach außen durch eine spezifische Ästhetik in Erscheinung, die sich in der uniformen scheunenartigen Architektur der Filialen ebenso manifestiert wie in der schnörkellos-simplen Warenpräsentation, dem Verpackungsdesign der Billigware und nicht zuletzt auch im Marken-Logo, das bei ALDI, Lidl, Penny oder auch bei Ikea aus dem Formenvokabular der konkreten Kunst aus den 70er Jahren stammt. Die berühmte ALDI-Nord-Tüte, die bis heute produziert wird, entwarf Günter Fruhtrunk 1970; Torben Giehler, Joachim Grommek und Sebastian Freytag beziehen sich auf diese Bildsprache,
Konstantin Voit und Guido Münch arbeiten mit Marken-Logos. Angelika Schröder, Ina Weber und Gabriele Langendorf machen die Architektur der Discounter zum Thema, Tatjana Doll und Stefanie Schneider die Einkaufswagen.

Inhalt
Das Kapitel "Inhalt" konzentriert sich weitgehend auf die Auseinandersetzung mit dem Angebot, dem Konsum und der Produktion von Lebensmitteln als Massenware – ein für uns alle existenzielles Thema, das immer mehr in den Fokus gerät und heftige Debatten hervorruft.

Thomas Rentmeisters Wurst-Skulptur wie auch seine Zucker-Installation zeugen von der Überflussgesellschaft ebenso wie von absurden Konservierungsmöglichkeiten. Francisco Sierra thematisiert die Schattenseiten der Massentierhaltung und der Fleischproduktion, Piero Steinle hat erschütternde Eindrücke in Tierkörperbeseitigungsanstalten gesammelt. Alice Musiols uniforme Häusersiedlung aus Toastbroten ist eine industrielle Ernährungswüste ohne jeden Nährwert. Die Nahrungsmittel-Grundsortimente von Discountern werden in Florian Slotawas Vergleich ununterscheidbar.

Konsum
Der Welt der Waren steht der Käufer mit seinem Konsumverhalten und Einkaufsritualen gegenüber. Der Video-Klassiker von Christian Jankowski zeigt, wie elementar und archaisch Einkaufen ist – als Jagd mit Pfeil und Bogen im Supermarkt. Hysterie im Schnäppchenmarkt ist das Thema von Gardar Eide Einarsson. Heinrich Gartentor betätigt sich vor idyllischer Heidi-Kulisse als Konsum-Terrorist und mischt ALDI-Artikel zu Explosivkörpern. Markus
Vater lässt Kunden mit dem Leben bezahlen, Pietro Sanguineti beschwört in seinen Schriftzügen Versprechen und Bedrohungen der schönen neuen Warenwelt. Die fast religiöse Dimension der Warenverehrung thematisieren Iskender Yediler in seinem AldiLidlPlus-Kreuz und Stephanie Senge in ihren "Konsum-Thangkas".

Kunst
Discountware ist eigentlich genau das Gegenteil der auf elitäre Verknappung zielenden Kunst. Kunst als Massenware, Massenware als Kunst erscheint als Widerspruch. Eine Reihe von Künstlern nähert sich dieser Festlegung in subversiver Manier. Katinka Pilscheur kreiert monochrome Malerei aus dem ALDI-Nagellack-Sortiment, Hötsch Höhle malt Bilder im Dutzendpack zum Billigtarif, Baumann/Bien bieten einen Kunstautomaten an, aus dem man sich Kunstwerke wie Zigaretten ziehen kann, Stephanie Senge veredelt ALDI-Produkte in einer Performance zu Kunstwerken, Jani Leinonen entdeckt den (künstlerisch-poetischen) Mehrwert der Waren in der Kombination ihrer Markennamen. Auch ALDI selbst hat die Grenzen von Kunst und Massenware mit mehreren ALDI-Kunsteditionen gesprengt, die in einer Auflage von je 10.000 vertrieben wurden. Schließlich wurden selbst Einkaufstüten als Kunstmedium entdeckt. 1982 zeigte Elke Koska im Düsseldorfer Kunstverein eine legendäre "Plastiktüten-Show", die im Rahmen der Ausstellung präsentiert wird.

Gesellschaft
Gesellschaftliche und gesellschaftskritische Aspekte des Discountsystems thematisieren unter anderem Arbeiten von Joseph Beuys und von Felix Droese, Lili Fischer zeigt ihr "Hungertuch". Thomas Henke entwirft ein reziprokes Video-Portrait von einem Discounter-Vorstandsvorsitzenden und einer Filialleiterin. Stephanie Senge organisiert eine Konsum-Demonstration, deren Spruchbänder als Bilder im Museum präsentiert werden. Das Künstlerduo M+M ruft in einem Fiat Seicento zum ALDI-Streik auf, Alexander Kosolapov und Jani Leinonen vermischten in ihren Lenin-Portraits Kommunismus und Kapitalismus.

Künstler-Liste
Peter Anton, Winfried Baumann/Anna Bien, Günther Beier, Joseph Beuys, Tatjana Doll, Felix Droese, Gardar Eide Einarsson, Robert Filiou, Lili Fischer, Sebastian Freytag, Günther Fruhtrunk, Heinrich Gartentor, Torben Giehler, Joachim Grommek, Thomas Henke, Hötsch Höhle, Christian Jankowski, Gabriele Langendorf, Jani Leinonen, Alexander Kosolapov, M+M, Guido Münch, Alice Musiol, Birgit Nadrau, Katinka Pilscheur, Thomas Rentmeister, Pietro Sanguineti, Stefanie Schneider, Angelika Schröder, Stephanie Senge, Francisco Sierra, Daniel Spoerri, Florian Slotawa, Piero Steinle, Markus Vater, Konstantin Voit, Ina Weber, Iskender Yediler.

Katalog
Zur Ausstellung erscheint ein besonderer Katalog – vier Broschüren verpackt in einem Wellpappe-Karton – im Walther König Verlag Köln mit Texten von Reinhard Spieler, Judith
Elisabeth Weiss, Karen Duve, Wolfgang Ullrich, Bernhard Dücker, Miriam Oesterreich und Mona Mahall. Textauszüge von Klassikern wie Karl Marx, Max Weber, Sigmund Freud, Guy Debord, Erich Fromm und anderen geben Einblick in die theoretische Auseinandersetzung mit der Thematik, die Firmenphilosophien von ALDI, Lidl und anderen ergänzen den Band.
Der Katalog mit 216 Seiten, im Format 24,5 mal 34 Zentimeter kostet im Museum 14,99 Euro, im Buchhandel 38 Euro.

Begleitprogramm
Ein umfangreiches Begleitprogramm vertieft die Themenaspekte der Ausstellung.

Samstag, 26. November 2011, 14 Uhr
Konsumperformance
mit Stephanie Senge: Bringen Sie ein ALDI-Produkt mit – die Künstlerin verwandelt es in ein Kunstwerk (gratis!)

Samstag, 26. November 2011, 16.30 Uhr
Podiumsgespräch 1
"Billig und/oder gut? Ernährung im Zeichen von Discount"
mit Sarah Wiener, Köchin für nachhaltigen Genuss / Stefan Kreutzberger, Journalist und Buchautor ("Die Essensvernichter – warum die Hälfte aller Lebensmittel im Müll landet") / Prof. Thomas Rentmeister, Künstler und Prof. Dr. Alois Wierlacher (Kulinaristik-Forum Rhein-Neckar e.V.)

Sonntag, 27. November 2011, 4. Dezember 2011, 18. Dezember 2011, 15. Januar 2012, jeweils 15.30 Uhr
"Hötsch Höhle malt!"
Der Künstler malt für Sie im Akkord: je Bild 20 Euro!

Dienstag, 29. November 2011, 16 Uhr
Teacher’s Night
"Discount-Ästhetik, Konsum und Ernährung", Führung für Lehrkräfte. Eintritt frei, Anmeldung und Infos unter: www.wilhelmhack.museum/kunstvermittlung

Donnerstag, 15. Dezember 2011 und 19. Januar 2012, 18 bis 21 Uhr
Art after work
Müll? Kunst! Gestalten Sie Ihre eigene Gold-Edition! mit Iris Wunderlich, Kosten 20 Euro, Anmeldung: hackmuseum@ludwigshafen.de, Tel. 0621/504-3045

Donnerstag, 29. Dezember 2011 und 2. Februar 2012, 18.30 Uhr
"Discount meets Haute Cuisine – Billig oder edel?"
Kosten Sie mit verbundenen Augen! Eine Kooperation mit dem Restaurant
Salamander zum Schnäppchenpreis von 15 Euro, Anmeldung:
hackmuseum@ludwigshafen.de, Tel. 0621/504-3045

Donnerstag, 5. Januar 2012, 18.30 Uhr
Ein Abend für Singels
"Kunst im Alleingang oder Family-Pack im Discountmarkt?" Führung und Get-Together nach Büroschluss mit Miriam Oesterreich, M.A. und Theresia Kiefer M.A., Eintritt: 7,50 Euro (inklusive ein Glas Sekt), Anmeldung: hackmuseum@ludwigshafen.de, Tel. 0621/504-3045

Sonntag, 8 Januar 2012, 11 bis 18 Uhr
Familiensonntag
Konzert, Theater, Offenes Atelier, Kinderführung. Eine für Alle und Alles: Familienkarte nur 15 Euro, Anmeldung: hackmuseum@ludwigshafen.de, Tel. 0621/504-3045

Donnerstag, 12. Januar 2012, 19 Uhr
Podiumsgespräch 2
"Wie sieht billig aus? Ästhetische Fragen an das Discount-Prinzip"
mit Prof. Wolfgang Ullrich, Professor für Kunstwissenschaft und Medientheorie (Staatliche HfG Karlsruhe) / Prof. Christian Janecke, Professor für Kunstgeschichte (HfG Offenbach) und Prof. Mona Mahall, Professorin für Medien- und Kommunikationsdesign (Universität Stuttgart und Illinois Institute of Technology Chicago)

Donnerstag, 16. Februar 2012, 19 Uhr
Podiumsgespräch 3
"Essen als Kommunikation"
Gespräch mit den Vorständen des Kulinaristik-Forums Rhein-Neckar e.V.

Öffentliche Führungen
jeden Sonntag, 15 Uhr, Kosten: 3 Euro zuzüglich Eintritt

Öffnungszeiten:
Mo geschlossen
Di, Mi, Fr, 11 – 18 Uhr
Do, 11 – 20 Uhr
Sa, So, 10 – 18 Uhr

Eintritt:
7 Euro, ermäßigt 5 Euro
samstags freier Eintritt