Fachtagung der Polizeidirektion Heidelberg: „Prävention und Ethik“

Gruppenbild der Referenten gemeinsam mit dem Organisationsteam (v.l.n.r.: Karl-Heinz Bartmann, Reiner Greulich, Prof. Dr. Thomas Bliesener, Günther Bubenitschek, Abt Franziskus Heereman, Prof. Dr. Manfred Spitzer, Dr. Melanie Wegel, Bernd Fuchs)

Es war ein Ende mit Tiefgang: Zum 13. Mal und vermutlich letztmalig lud die Polizeidirektion Heidelberg mehr als 300 Vertreter aus Wissenschaft, Wirtschaft, Schulen, Verwaltung, aber auch Kirchen, Verbänden und Jugendarbeit zum Austausch ein. Durch die Umstrukturierung der Polizei wird die Heidelberger Präventionsabteilung nach Mannheim versetzt. Kein Wunder, dass ein Hauch von Wehmut über der Fachtagung mit dem Titel „Prävention und Ethik“ lag. Auch wenn der Moderator und frühere RNZ-Chefredakteur Manfred Fritz für seine Mitwirkung zum Polizeidirektor ehrenhalber auf Lebenszeit ernannt wurde.

Für Bernd Fuchs als Leiter der Polizeidirektion ist Prävention „alternativlos“ und sein Heidelberger Team um Günther Bubenitschek spielen in der „Champions League“. Als „Vermächtnis“, so versprach er, „werde er dafür sorgen, dass die in Heidelberg entwickelten Standards als Maßstab für die landesweite Arbeit angewendet werden“. Ins gleiche Horn tönte auch Bürgermeister Wolfgang Erichson für die Stadt. „Wir werden uns dafür stark machen, dass es weiter geht“, versprach er.

Für eine breite Palette zum Thema sorgte Professor Manfred Spitzer vom Universitätsklinikum Ulm mit seinem Beitrag zur „digitalen Demenz“ (nebenstehender Text), sowie Professor Thomas Bliesener, der über jugendliche Intensivtäter informierte und Melanie Wegel, die den Nutzen von Prävention unter die Lupe nahm. Den Abschluss bildete dann Abt Franziska Heereman von Stift Neuburg.

Forschung, zumal auf dem Feld der Kriminologie, hat viele Fallen. Das muss auch Professor Bliesener vom Institut für Psychologie Kiel immer wieder erleben. Sein spezielles Thema sind jugendliche Intensivtäter. Einige von ihnen gehören zu einer kleinen, aktiven Gruppe, die ein Leben lang immer wieder kriminell werden, wenn nicht Einhalt geboten wird. Gelingt es aber, sie zu stoppen, könnte vielen Verbrechen vorgebeugt werden. Nun weiß die Forschungsgruppe um den Professor aber, dass es Risikofaktoren wie mangelnde elterliche Fürsorge oder Schulversagen, aber auch Schutzfaktoren wie Wertschätzung oder menschliche Bindung gibt. Die einen zu hemmen und die anderen zu aktivieren, das muss nach Ansicht von Bliesner gesellschaftliche Aufgabe sein.

Dr. Melanie Wege vom Institut für Erziehungswissenschaften der Universität Zürich geht das Thema von der Werteseite aus an. Sie referierte eine Studie, die Jugendliche in Strafanstalten und Schüler zu ihrer Orientierung befragten. „Eine heile Welt“, den Zahn musste die Wissenschaftlerin ziehen, gibt es nach ihren Untersuchungen nirgends mehr, in keiner Schulart, in keinem Landesteil. Oft, beispielsweise in Sachen Mobbing, sind die Werte verbal sogar vorhanden, werden aber nicht gelebt. Ein Grund mehr für sie, ein durchgängiges Konzept der Prävention zu fordern. Auch Melanie Wege sieht in dem, was in dieser Hinsicht in Heidelberg und dem Rhein-Neckar-Kreis geschaffen wurde, Vorbildliches.

„Menschen verlieren heute leicht das Gespür dafür, warum sie auf dieser Erde leben“, schilderte Abt Franziskus Heereman zum Abschluss seine Beobachtungen eines Benediktinermönches. Nicht zuletzt die Sinnangebote der Religionen hätten viel von ihrer Kraft verloren. Dieses Vakuum verführe Junge wie Ältere dazu, sich nur noch vordergründige Ziele zu setzen, woran seiner Ansicht nach, das Individuum wie die Gemeinschaft Schaden nehmen. Aus den Regeln seines Ordensgründers Benedikt sieht er dabei vielfältige Orientierungsmöglichkeit aufscheinen. Dazu gehört das gesunde Maß ebenso wie die Sorgfalt im Umgang mit den Dingen. Sich immer wieder zu fragen, wohin die Reise eigentlich gehe, sollte seiner Ansicht nach Richtschnur sein für Mönche und alle anderen.

"Digitale Demenz" – Auftaktrede von Prof. Manfred Spitzer

Wir verbringen immer mehr Zeit am Computer. Gleichzeitig haben wir das Gefühl, uns nichts mehr merken zu können. Professor Manfred Spitzer ist diesem Phänomen auf den Grund gegangen. Mit dem Schlagwort von der „digitale Demenz“ machte sich der streitbare Psychiater, Psychologe und Hochschullehrer mächtige Feinde. Ihn als Auftaktredner der Fachtagung „Prävention und Ethik“ in die Polizeidirektion einzuladen, beweist Mut und Weitsicht zugleich. Denn er lässt niemanden kalt, egal, ob man seine Thesen in allen Details teilt oder nicht. Und er macht nachdenklich, wenn er Phänomene, die allenthalben zu beobachten sind, aus der Funktionsweise unseres Gehirns und unserer Synapsen erklären.

Der 54-Jährige Familienvater Manfred Spitzer ist ein streitbarer Geist. Kämpferisch und dünnhäutig wirkt der Professor mit den zwei Doktortiteln, gleichzeitig telegen, akademisch und um eine populäre Aussage nie verlegen. Dabei ist er keinesfalls ein plumper Technikverweigerer. Wenn es sein muss, spitzt er aber die Dinge so brutal zu, dass es auch der Letzte noch begreift. Irgendwie befindet sich der Ärztliche Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik Ulm auch auf einer Mission, die etwas von einem Kreuzzug hat. Er hat mächtig einstecken müssen und er teilt aus. Nur an zwei Punkten wirkt er verletzlich: Wenn man ihn wissenschaftlicher Unredlichkeit bezichtigt und wenn er von den „kaputten Existenzen“ seiner computersüchtigen Patienten erzählt, die nicht einen Freund im realen Leben haben und in einen Eimer pinkeln, um keine Sekunde ihres virtuellen Spiels zu verpassen.

Bei all dem kann dieser Hochschullehrer auch noch verflixt gut erklären. Zum Beispiel das mit der Gedächtnisspur, die eben nicht gelegt ist, wenn wir eine Route immer nur mit Navigationsgerät gesucht und gefunden haben. „Je mehr sie auslagern, desto weniger ist dann da drin“, so bringt er das Phänomen mit der „Digitalen Demenz“ auf den Punkt.

Das Gedächtnis wird so zu einem oberflächlich dahin wabernden Strom von Teilchen, das Gehirn zu einer Ansammlung flach wurzelnden Wissens. Tiefe Sorge bereitet ihm vor allem der stetig zunehmende Konsum elektronischer Medien durch Kinder und Jugendliche. Das gehe schwer zu Last des eigenen, aktiv tätigen Lernens. „Wie ein Muskel wird auch das Gehirn nur dann trainiert, wenn man es wirklich fordert“. Richtig sauer wird Spitzer, wenn Initiativen von Politik und Industrie fordern, alle Schüler mit Notebooks auszustatten. Hier vermutet er nicht nur blankes Unwissen sondern skrupellose kommerzielle Interessen. Dann schreckt er auch vor brachialen Vergleichen nicht zurück. „Gegenüber Facebook war die Stasi ein Kaffeekränzchen“, poltert er dann polemisch, und wirkt, als wolle er sagen: „Hier stehe ich nun, ich kann nicht anders“.

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