„Europa ist ein Geflecht mit ganz vielen Netzwerken“ – Vortrag mit Generalsekretär Gerhard Stahl

Gerhard Stahl

„Europa ist ein Geflecht mit ganz vielen Netzwerken, in denen regionale und sachbezogene Interessen eine bedeutendere Rolle spielen als nationalstaatliches Denken.“

Diese Auffassung vertrat Gerhard Stahl bei seinem Vortrag am 4. Juni 2013 in der Technischen Universität Kaiserslautern. Auf Einladung des Europa Direkt Informationszentrums, des Vereins Zukunftsregion Westpfalz und des Fachgebiets Politikwissenschaft der Technischen Universität Kaiserslautern referierte der Generalsekretär des Ausschusses der Regionen zur Rolle von Städten und Gemeinden als Grundpfeiler europäischer Identität. Der Vortrag fand statt im Rahmen der Vorlesungsreihe mit dem Titel „Visionen für Europa“.

Der 1994 gegründete Ausschuss der Regionen ist die Stimme der Regionen und Kommunen bei der europäischen Integration. In ihm versammeln sich 344 Regional- und Kommunalvertreter, die bei der europäischen Gesetzgebung beteiligt werden. Gerhard Degen, der Leiter des Europa Direkt Informationszentrums, wies darauf hin, dass Rheinland-Pfalz mit zwei Mitgliedern in diesem Gremium vertreten sei. Er bezeichnete Gerhard Stahl, der seit 2004 das Amt des Generalsekretärs im Ausschuss der Regionen bekleidet und vorher in hohen Funktionen für Mitglieder der Europäischen Kommission tätig war, als „eine der Top-Persönlichkeiten in der Brüsseler Szene“.

Nach Stahls Meinung existiert ein einigendes Band zwischen den unterschiedlichen Teilen des Kontinents. „Es gibt Europa als eine gemeinsame historische Erfahrung“, betonte er. Von der römischen Besiedlung über die prägende Kraft des Christentums im Mittelalter, den 30-jährigen Krieg, Napoleon, die Industrialisierung bis hin zu den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts sei die Geschichte in Kaiserslautern ähnlich verlaufen wie in vielen anderen Gemeinden der Europäischen Union. Und nun sei man gegenwärtig wieder mit größeren historischen Erfahrungen konfrontiert. „Über die Zukunft der Europäischen Union wird überall intensiv diskutiert“, erklärte Stahl. Dabei sei das Zusammenwachsen Europas schon zu sehr fortgeschritten, als dass man zum nationalstaatlichen Denken zurückkehren könne.

Denn die Grenzen spielten eine immer geringere Rolle, häufig würden regionale Interessen die nationalen überlagern. So sei zum Beispiel für das Land Nordrhein-Westfalen der Hafen Rotterdam als Verbindung zum Meer bedeutender als jeder deutsche Hafen. Kaiserslautern sei in den „Saar-Lor-Lux-Raum“ eingebunden. Aber nicht nur die geographische, sondern auch die sachbezogene grenzüberschreitende Zusammenarbeit funktioniere sehr gut. So hätten sich im Konvent der Bürgermeister mehr als 4000 Stadtoberhäupter freiwillig vertraglich verpflichtet, praktische Maßnahmen zum Klimaschutz zu ergreifen.

Große Sorgen äußerte Stahl angesichts der Renationalisierung als Folge der Euro- und Finanzkrise. „Darauf müssen wir eine gemeinsame europäische Antwort finden“, forderte er. Es werde keinen Zusammenhalt geben ohne Solidarinstrumente für diejenigen, die sich vorübergehend in finanziellen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten befänden.